Anne M. Schueller ● 11.3.2019
New Work braucht Rollen statt Stellen
Die Digitalisierung erfordert neue Arbeitsmodelle und ein Umdenken in der Führungsetage. Damit einher geht ein zeitgemäßes Verständnis von Rollen und Funktionen innerhalb einer Organisation. Die klassische "Stelle" gibt es im New Work Umfeld nicht mehr. Warum ist das so?
In klassischen Organisationen sind Stellen und die dazugehörigen Aufgabenpakete fest an Personen gebunden. Der jeweilige Stelleninhaber hat dabei die Vorgabe, die ihm im Rahmen einer Stellenbeschreibung zugedachten Tätigkeiten bestmöglich zu erledigen. Hierfür hat er einen eigenen Arbeitsplatz. Entsprechend der notwendigen Kompetenzen wird er von der HR-Abteilung im Zuge einer Stellenausschreibung angeworben, über einen vordefinierten Recruiting-Prozess ausgewählt und dann in die Stelle eingearbeitet.
Fertigkeiten, die der Stelleninhaber zwar besitzt, aber im Rahmen seiner Stelle nicht braucht, gehen dem Unternehmen dabei verloren. Wertvolle Leistungspotenziale verpuffen. Kompetenzen hingegen, die zur Stelle gehören, die der Stelleninhaber jedoch nicht besitzt, müssen mühsam erworben werden. Heißt: Man passt den Menschen an die Stelle an – und nicht umgekehrt. Die Stelle definiert auch den Zuständigkeitsbereich. Wofür man nicht zuständig ist, darum hat man sich nicht zu kümmern. Flexibilität Fehlanzeige – Agilität, weit gefehlt.
Permanente Wandelbereitschaft braucht Rollenkonzepte
Demgegenüber spricht man in zeitgemäßen Organisationen zunehmend von Rollen. Diese sind nicht fest an eine dafür bestimmte Person gekoppelt, denn Rollenwechsel sind möglich. Hierdurch kann die Aufgabenverteilung viel flexibler an die sich ständig verändernden Umstände angepasst werden. Zum Beispiel kann eine Rolle nur zeitweise besetzt sein. So können Arbeitsspitzen besser ausgeglichen und Kompetenzbedarfe unproblematisch gedeckt werden, ohne gleich neue Mitarbeiter einstellen zu müssen.
Im Gegensatz zu statischen Stellenkonzepten können bei dynamischen Rollenkonzepten die bestehenden Potenziale der Mitarbeiter besser eingesetzt, kurzfristige Ausfälle eher abgefangen und Teilzeitkonzepte einfacher umgesetzt werden. Liegt mal weniger Arbeit an, übernimmt ein Mitarbeiter mehrere Rollen - und über mehrere Rollen lernt er schnell mehr. Die immer zahlreicheren Projekte können über Rollen viel leichter besetzt werden, wodurch sie sich rascher umsetzen lassen. Hingegen ist man in herkömmlichen Systemen darauf angewiesen, dass ein Vorgesetzter „seinen“ Mitarbeiter für ein Projekt oder die Mitarbeit in einer anderen Abteilung abgibt, was aus sachlichen Gründen oft sicher ginge, meist aber aus Machtgründen scheitert.
Weshalb die Verantwortungsbereitschaft bei Rollen steigt
Rollenkonzepte sind stärkenbasiert. So kann der jeweilige Rolleninhaber bessere Entscheidungen treffen und zugleich mehr Verantwortung für die Aufgaben übernehmen, die zu seiner Rolle gehören. Was die Rolle darf und was nicht, wird in Vereinbarungen festgelegt. Am besten beschreibt ein Rolleninhaber seinen Aufgabenbereich selbst. Durch die damit verbundene Selbstreflexion wird der Sinn der eigenen Arbeit im Gesamtkontext klarer und die Verbindlichkeit steigt. Motivation, Engagement und Produktivität werden höher. Folgende Fragestellungen sind dafür adäquat:
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Was sind meine Aufgaben und mein konkreter Beitrag für das Unternehmen?
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Mit welchen Bereichen arbeite ich zum Wohl unserer Kunden zusammen?
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Was brauchen die Kollegen von mir, und was brauche ich von den Kollegen?
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Was behindert mich bei meiner Arbeit und wie kann ich das ändern?
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Wie kann ich meine Arbeit weiter verbessern und was muss ich dazu lernen?
Die Passung für eine gegebene Situation ist entscheidend
Und wie geschieht die Rollenverteilung? Dezentrale Organisationen schaffen dafür Rollenmärkte und der Einzelne wählt für sich eine passende Rolle aus. Oder man wird vom Team für eine Rolle gewählt. So ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die jeweils kompetenteste Person durchsetzt.
Menschen wählen in solchen Fällen nur nach Beliebtheit? Weit gefehlt! Denken Sie zurück an die Schulzeit. Galt es im Mannschaftsport zu gewinnen, hat man die Besten ins eigene Team gewählt. Je nach Sportart waren das ganz verschiedene Leute. Wir haben ein ziemlich gutes Gespür dafür, wer in einer jeweiligen Situation der Richtige ist. So entstehen natürliche Hierarchien, wohingegen in klassischen Unternehmen institutionalisierte Machthierarchien regieren.
Wie im Sport sollte auch im Firmenkontext ein Rolleninhaber von seiner Rolle zurücktreten können, wenn die Passung nicht länger stimmt. Oder er kann vom Team abgewählt werden. Dies betrifft nicht zwangsläufig nur „normale“ Mitarbeiter, sondern auch Führungskräfte. Stellen Sie sich vor, in einigen Organisationen wird sogar der CEO per Mitarbeiter-Votum gewählt. Nach einem festgelegten Zeitpunkt wird er bestätigt - oder wieder abgewählt, wenn neue Herausforderungen eine andere Passung erforderlich machen.
Das klingt zunächst ungewohnt. Bei näherer Betrachtung sind die Vorteile aber gewaltig. Wer gewählt werden will, muss performen. „Wer ist der/die Beste, um die Aufgaben, die vor uns liegen, zu meistern?“, ist die entscheidende Frage.