Die Digitalisierung verändert auch den Prozess der Personalbeschaffung. Der HR-Manager wird heute selbst aktiv und spricht geeignete Bewerber direkt an. Was Unternehmen bei Recruiting 4.0 beachten müssen.
Qualifizierte, kreative und motivierte Mitarbeiter sind die wichtigste Grundlage für den unternehmerischen Erfolg. Doch die Suche nach geeigneten Bewerbern kann sich am heutigen Arbeitsmarkt als schwierig und langwierig herausstellen. Ein geschicktes Personalmarketing hilft, die Existenz des Unternehmens langfristig zu sichern. Wie sieht dieses im Digitalzeitalter aus?
Recruiting 4.0 steht für ein digital gestütztes Recruiting. Die Digitalisierung bietet zahlreiche neue Möglichkeiten, Bewerber ausfindig zu machen, anzusprechen, für den Job zu gewinnen und – letztlich vielleicht die schwierigste Aufgabe – langfristig an das Unternehmen zu binden. Doch die erfolgreiche Nutzung neuer digitaler Kanäle erfordert auch ein entsprechendes Know-How und ein grundsätzliches Umdenken im Kopf des Personalers.
„Es geht nicht nur um Ansprache, es geht nicht nur um Stellenanzeigen, es geht heutzutage um viel viel mehr, um erfolgreich im Recruiting zu sein!“
„Die Personalbeschaffung (englisch recruitment, recruiting) ist eine Teilfunktion des Personalmanagements mit der Aufgabe, die in einer Organisation benötigten Arbeitskräfte in qualitativer, quantitativer, zeitlicher und räumlicher Hinsicht zu rekrutieren.“ – soweit eine der vielen Definitionen (Gabler Wirtschaftslexikon) des Begriffs Recruiting. Doch im modernen Rekrutierungsprozess kommt es auf viel mehr an.
Im (Social) Recruiting stehen der Mensch und seine Bedürfnisse selbst im Vordergrund. Mindestens genauso wichtig ist die Art und Weise der Kommunikation. Soziale Netzwerke und Plattformen bilden dabei oftmals die Basis für die Personalbeschaffung 4.0 im digitalen Zeitalter. Während es früher genügte, eine Stellenanzeige in der Tageszeitung zu schalten und im Anschluss aus (idealerweise) zahlreichen (teils noch schriftlichen) Bewerbungen den geeignetsten Kandidaten ausfindig zu machen, hat das klassische Post and Pray Verfahren heute ausgedient. Das Medienverhalten vieler Zielgruppen hat sich verändert.
Sie als Personalmanager müssen selbst aktiv werden und die Mehrwerte des Unternehmens als Arbeitgeber stärker nach außen tragen, wenn Sie gut ausgebildete, kompetente und engagierte Mitarbeiter akquirieren möchten. Neben zahlreichen Online-Jobbörsen und Business-Plattformen gibt es seit einigen Jahren sogar ausschließlich auf das berufliche Umfeld ausgerichtete soziale Netzwerke wie Xing oder LinkedIn, die für die aktive Ansprache prädestiniert sind.
Recruiting 4.0 bedeutet also auch, die digitalen Medien nicht nur für Stellenausschreibungen oder Anzeigen zu nutzen, sondern in diesem Umfeld aktiv auf Kandidaten zuzugehen und diese direkt anzusprechen.
"Active Sourcing ist ein wesentlicher Bestandteil einer Strategie des Proaktiven Recruitings, ergänzt die Aktivitäten des reaktiven Recruitings (z.B. Anzeigenschaltung in Print- oder Online und warten auf Bewerber) um eine Komponente, bei der Arbeitgeber proaktiv und gezielt auf bestimmte potentielle Kandidaten zugehen."(Quellverweis)
Dieser Prozess der individuellen und persönlichen Ansprache gliedert sich dabei in zwei Phasen: das Social Media Personalmarketing (SMP) und das Social Media Recruiting (SMR). In einem ersten Schritt stellt sich das Unternehmen vor – idealerweise inklusive aller Mehrwerte und Vorteile, jedoch glaubhaft und authentisch – bevor es den geeigneten Kandidaten direkt anspricht. Dabei werden inzwischen nicht mehr nur Xing oder LinkedIn als Plattformen zu Hilfe gezogen, auch wenn sie sich gefolgt von Facebook und Instagram immer noch größter Beliebtheit erfreuen, sondern das ganze Internet mit einbezogen (Lebenslaufdatenbanken, etc.).
"Die Personalentscheider müssen umdenken: Recruiting kann heute nicht mehr kurzfristig betrieben werden, Recruiting muss strategisch aufgesetzt werden und ist ein mittel- bis langfristiger Prozess!" (Recruiting-Expertin und Dozentin Ulrike Ripper)
Von der Bestimmung des Personalbedarfs bis zum Onboarding: Die Personalbeschaffung im digitalen Zeitalter durchläuft zahlreiche Phasen, die alle klar miteinander in Verbindung stehen und nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen. In einem ersten Schritt wird der Personalbedarf bestimmt, um darauf aufbauend eine konkrete Recruiting-Strategie aufzusetzen. Je nach Zielgruppe werden die Kanäle und die Art und Weise der (Direkt-)Ansprache ausgewählt. Gerade für die Generationen Y und Z (Geburtenjahrgang ab den 1980er Jahren) zählt die Kommunikation in Echtzeit, unabhängig vom Wann und Wo. Ein schnelles Reagieren ist gefragt – sonst entscheidet sich der Kandidat möglicherweise für Ihren Mitbewerber. Nach der Auswahl wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen, das nicht selten in einem ersten Fall auch via Skype stattfindet. Einige Unternehmen setzen inzwischen auch auf das automatische Video-Aufzeichnungsverfahren, welches aber kein erstes Aufeinandertreffen ersetzt, sondern lediglich die Vorauswahl erleichtert. Ist der geeignete Kandidat gefunden, beginnt das Onboarding.
Die sogenannte Candidate Experience ist ein wesentlicher – wenn nicht sogar der wesentlichste – Bestandteil im Recruiting-Prozess. Das Candidate Experience Management bezeichnet „die aktive Gestaltung aller Kontaktpunkte des Bewerbers (Candidate Touchpoints) mit dem Unternehmen mit dem Ziel, einen positiven Gesamteindruck zu hinterlassen.“ (Verhoeven, Candidate Experiences)
Sie steht also für das gesamte Erlebnis, das Bewerber bzw. Kandidaten im Einstellungsprozess bei einem Unternehmen haben, vom Erstkontakt bis über das Onboarding hinaus. Um als möglichst attraktiver Arbeitgeber zu gelten, empfiehlt es sich für das Unternehmen, die Candidate Experience so positiv wie möglich zu gestalten. Das beginnt also schon mit der Stellenanzeige und einem persönlichen und überzeugenden Erstkontakt mit dem Recruiter. Dieser sollte unbedingt Bezüge zum bisherigen Lebenslauf herstellen und keinesfalls einen Standardtext wählen. Im Idealfall wird frühzeitig eine Bindung zum Bewerber aufgebaut, die sich im Laufe des Prozesses intensiviert und schließlich in seiner Zusage mündet.
Das Talent-Management-Konzept umfasst Strategien, Methoden und Maßnahmen, mit denen ein Unternehmen sicherstellt, dass die für den Geschäftserfolg kritischen Positionen dauerhaft mit den richtigen Mitarbeitern besetzt sind. Darunter versteht man die Verwaltung und Pflege bestehender Kontakte von aktuellen, ehemaligen oder zukünftigen Mitarbeitern. Ziel ist es, bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt im Recruiting auf sie zurückgreifen zu können. Hier spielen Kernelemente wie eine langfristige Bindung der eigenen Mitarbeiter an das Unternehmen, aber auch mit der Kontaktpflege zu ehemaligen Mitarbeitern und vielversprechenden neuen Talenten eine wichtige Rolle.
Geht es um technikgestützte Rekrutierungsverfahren, liegen Bewerbermanagementsysteme auf Platz eins in Deutschland. Der Recruitingprozess wird abgebildet, beschleunigt und DSGVO-und AGG-konform gestaltet. Algorithmen sind schneller als Menschen und helfen zum Beispiel bei der automatisierten Bearbeitung von elektronischen Bewerbungen oder bei der Recherche nach Kandidatenprofilen in Datenbanken.
Beim Robot Recruiting beispielsweise werden Bewerbungsunterlagen und Lebensläufe elektronisch analysiert und auf Basis vorgegebener Kriterien selektiert. Ein Algorithmus empfiehlt geeignete Kandidaten auf offene Stellen. Dem aktuellen Recruiting Intelligence Guide 2019, herausgegeben von Raven51 AG und HRM Research Institute GmbH, zufolge, kommt dieses Verfahren aber bei lediglich 5 Prozent der befragten Teilnehmer zum Einsatz.
Künstliche Intelligenz ist aber klar auf dem Vormarsch und wird in den kommenden Jahren sicher auch im Recruiting eine wesentliche Rolle spielen. Lesen Sie hierzu: Recruiting-Experte im Interview: Wie finden KMU den perfekten Kandidaten?
Das Employer Branding (Arbeitgebermarke) bezeichnet alle internen und externen Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreift, um von Bewerbern als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Es bildet das Fundament jedes erfolgreichen Personalrecruitings und sollte sich in der Kommunikation zum Bewerber stets wiederfinden. Denn mit jedem Bewerbungsprozess werben Personaler auch für ihr Unternehmen. Jeder Gesprächspartner kann ein künftiger Mitarbeiter sein. Dann sollte er von Anfang an hinter dem Unternehmen und dessen Werten stehen.
Transparenz und glaubwürdige Kommunikation – das Bild in der Öffentlichkeit entscheidet darüber, wer sich bewirbt. Dazu zählt u. a. eine überzeugende Präsenz im Internet. Auf Unternehmensseiten sieht man immer mehr Gesichter – Menschen, die im Unternehmen arbeiten und im Idealfall etwas zu erzählen haben. Gerade Start-ups und junge Unternehmen verfügen noch nicht über einen hohen Bekanntheitsgrad, die neue Marke ist nur wenigen Menschen ein Begriff. Heutzutage informieren sich Bewerber im Vorfeld sehr genau über die Firma, bei der sie sich bewerben. Im World Wide Web funktioniert das mithilfe von Arbeitgeber-Bewertungsplattformen oder Social Media Plattformen natürlich besonders einfach.
Mit der erfolgreichen Einstellung eines neuen Mitarbeiters ist der Recruiting-Prozess genau genommen noch nicht beendet. Gerade in der sogenannten Onboarding-Phase zählt der erste Eindruck.
Was für neue Mitarbeiter gilt, darf auch bei der langjährigen Belegschaft nicht vernachlässigt werden: Erfolgreiches Personalmarketing beginnt im eigenen Unternehmen: Sie als HR-Manager sollten immer die Mitarbeiter im Auge haben, die bereits einen wertvollen Beitrag leisten. Diese sind die Basis Ihres Erfolgs. Motivation, Anerkennung und Wertschätzung sind der beste Weg, um bestehende Potentiale auszuschöpfen. Dann machen auch entsprechende Mitarbeiterempfehlungsprogramme Sinn.
„Das Mitarbeiterempfehlungsprogramm ist ein Instrument des Human Resource Management im Rahmen der Mitarbeiterrekrutierung. Mitarbeiterempfehlungsprogramme basieren auf der grundlegenden Annahme, dass leistungsfähige Mitarbeiter Menschen mit vergleichbaren Fähigkeiten, Talenten und Einstellungen kennen.“ (Wikipedia).
Im Recruiting Intelligence Guide 2019 geben immerhin 67 % der Befragten an, neue Mitarbeiter über Empfehlungen von bestehenden Mitarbeitern zu finden. Damit liegt diese „Quelle“ nach den Inseraten in Jobbörsen auf Platz zwei.
Strategie: Je nach Zielgruppe und Branche die richtigen Kommunikationskanäle (auch jenseits von Xing und LinkedIn) und das Wording abstimmen sowie den Prozess des Recruitings vom aktiven Suchen bis zum Onboarding planen.
Ansprache: Mögliche Bewerber individuell ansprechen und auf Ihre Lebensläufe, Angaben oder weiteren zur Verfügung stehenden Informationen eingehen.
Reaktion: Auf Fragen oder Antworten der Kandidaten möglichst schnell reagieren, bevor es der Mitbewerber tut!
Arbeitgebermarke: Die Vorteile und Mehrwerte als Arbeitgeber glaubhaft in den Vordergrund rücken (Employer Branding).
Mitarbeiterbindung: Wer die bestehenden Mitarbeiter fördert, wirkt der Fluktuation entgegen, bindet diese nachhaltig ans Unternehmen und gewinnt wertvolle Markenbotschafter (Mitarbeiterempfehlungsprogramme, Talent Relationship Management).