Lars-Peter Linke ● 5.12.2018

Personas im Design-Thinking: Wie geben Sie dem Kunden ein Gesicht?

Kein Design Thinking Prozess kommt ohne das erdachte Abbild eines typischen Nutzers aus. Die Fähigkeit, sich in die Bedürfnisse und Gedanken anderer Menschen einzufühlen, hilft, den Kunden besser zu verstehen. Doch wie erstellen Sie eine Persona?

Empathie ist eine der wichtigsten Voraussetzungen und gleichzeitig eine der grundlegendsten Erfahrungen im Design Thinking. Die Bereitschaft und Fähigkeit, die Einstellungen anderer Menschen nachfühlen zu können, lässt uns alle unsere Kunden besser verstehen lernen. So können wir neue Angebote entwickeln, die ihren Bedürfnissen optimal entsprechen. Eine gute Methode, sich in Nutzer hineinzuversetzen, ist die Erstellung einer oder mehrerer Personas. Dieses "Idealbild" ist essenziell für jeden Design Thinking Prozess. Allerdings werden oftmals Personas entworfen, die auf den ersten Blick nett aussehen, ihren Zweck aber nicht erfüllen. Wenn Sie Personas gestalten und echten Nutzen aus dieser Methode ziehen möchten, müssen Sie ein paar Scheren im Kopf verbannen und so manchen klugen Leitsatz aus dem Marketing- oder BWL-Studium über Bord werfen.

Persona: der typische Kunde

Die Persona ist das fiktive Bild eines typischen Kunden, der vieles von dem mitbringt, was alle auszeichnet: Interessen, Ängste, Ansprüche, Erfahrungen. Das Entscheidende: Die Persona ist eine Figur mit ihrer eigenen Geschichte. Sie trägt einen Namen, hat ein bestimmtes Aussehen und ihren ganz eigenen Charakter.

Diese "Person" kann man im Rahmen eines längeren Design Thinking Prozesses auf Basis von vielen Kunden-Interviews, Recherchen und Marktforschungsergebnissen erstellen. Oder man nutzt die ersten Minuten eines Workshops, um im Team auf einem großen Bogen Papier das Bild des typischen Kunden wortwörtlich zu malen: auf die Mitte eines Blattes eine Silhouette, um die man kurze biografische Angaben platziert. Gerne auch Zitate, Symbole und vieles mehr. Im Laufe des Beschreibungsprozesses schlüpfen die Teilnehmer immer mehr in die Schuhe des Kunden, sehen die Welt durch seine Brille. Weil der Kunden einen Namen, ein Alter und eine Frisur erhält, fällt es uns leichter, seine Sprache zu sprechen, seine Sorgen ernst zu nehmen und seine Ideale zu würdigen. Eine hervorragende Ausgangslage, um kundenzentrierte Produkte anzudenken und zu entwickeln.

Eine Persona ist ein Konglomerat mit eigenem Charakter

Personas zu entwickeln fällt nicht allen Menschen leicht. Viele Workshopteilnehmer haben Vorurteile im Kopf, die sie erst einmal ablegen müssen („Strichmännchen und Comicfiguren zu malen ist Kinderkram und hat in seriösen Meetings nichts zu suchen…“). Oder sie sehen in den Personas nur eine Fortführung der Arbeit, die sie schon immer gemacht haben, und können in der Methode nichts Neues erkennen. In der Tat haben Marketing und Produktentwicklung auch vor dem Aufstieg des Design Thinkings viel unternommen und geleistet, um Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden zu entdecken und zu beschreiben. Dazu haben sie demographische und soziologische Daten herangezogen, um Lebensweisen, Werte und Milieus ihrer Kunden bestmöglich zu identifizieren.

Während der klassische Marketingmensch in Zielgruppen denkt, denkt der Design Thinker in konkreten Personas

Für den Zielgruppen-Kenner ist der typische Kunde zum Beispiel „zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, verfügt über einen akademischen Abschluss und mehrere Jahre Berufserfahrung, wohnt in einer Großstadt und fährt einen Mittelklassewagen.“ Der Design-Thinker spricht lieber über den 35 Jahre alten Sven, der Diplom-Kaufmann ist, in München wohnt und einen Golf Kombi fährt. Damit fällt Sven genau in die klassische Zielgruppenbeschreibung. Aber er ist nicht abstrakt, sondern steht konkret vor uns. Einmal angefangen können wir weiter fragen: Reihenhaus oder City-Wohnung? Freundin, Freund oder Ehefrau, Lebenspartner? Bayern München oder FC Augsburg? Urlaub in Österreich oder am Timmendorfer Strand? Das klare Bild hilft uns, uns besser in einen Kunden einzufühlen. „Halt!“ denken und rufen oft langjährige Marketingfachleute in Design Thinking Workshops: „Sven mag vielleicht ein idealtypischer Kunde sein. Aber wenn wir uns zu sehr auf ihn konzentrieren, verlieren wir dann nicht die Kunden aus den Augen, die woanders leben, andere Autos fahren und andere Träume haben?“ Die Angst ist verständlich, aber unberechtigt. Eine Persona soll mustergültig für eine Gruppe von Menschen sein. Das heißt nicht, dass sich alle Ausprägungen dieser Zielgruppe in einer Persona vereinigen müssen. Wer das anstrebt, landet zwangsläufig in der Verallgemeinerung und Abstraktion. Eine Persona dagegen ist individuell und konkret.

Nichts ist nebensächlich, was unseren Kunden wichtig ist

Manchen Menschen fällt die Persona-Gestaltung so schwer, weil sie Angst haben, Zeit mit Nebensächlichkeiten zu verschwenden: „Warum sollen wir denn angeben, welche Filme unsere Person liest, wenn sie uns doch nur als Software-Kunde interessiert?“ Zwei Antworten helfen, diese Bedenken zu zerstreuen. Design Thinking soll uns helfen, ganzheitliche Empathie für unsere Kunden zu entwickeln. Kein Mensch ist ausschließlich Kunde, ausschließlich Fachexperte oder ausschließlich Einkaufsleiter. Nicht nur die Persona als Ergebnis, sondern auch der Weg des Einfühlens in eine Persona ist eine wichtige Hilfe, um mit unseren Produkten und unserer Kommunikation „näher dran“ am Kunden zu sein. Außerdem liefert uns die Reflexion assoziative Einblicke, die später bei konkreter Ableitung von Maßnahmen hilfreich sind: Wenn die Persona lieber Hörbücher hört als Bücher zu lesen, kann es sein, dass unsere Webseite mit langen Textpassagen Kunden wie ihn eher abschreckt…

Personas entwickeln ein Eigenleben

In Design Workshops hängen die Personas gut sichtbar im Raum. Wenn sie gut und treffend sind, entwickeln sie ein Eigenleben. Workshopteilnehmer rufen sie sich immer wieder in Erinnerung, fragen sich, was sie wohl sagen oder empfinden würden. Der nächste Schritt zur „User Story“, der die Begegnung eines Kunden mit einem gegenwärtigen oder zukünftigen Produkt beschreibt, fällt mit einer konkreten Persona, die vor einem im Raum steht, wesentlich leichter. So leicht, dass auch die Teilnehmer, die sich wenige Minuten zuvor noch über Zeitverschwendung beklagt haben („… die Angaben kann Ihnen doch unsere Marketingabteilung geben"), leise nicken.

Die Anfertigung von Personas ist eine der schnellsten und wirkungsvollsten Methoden, um unsere Kunden aus der anonymen Menge der Daten zu holen. Sie macht unsere Kunden menschlich.

Agiles Projektmanagement, Design Thinking