Joerg Tausendfreund ● 26.7.2019
Agile Projektarbeit einführen - ein Erfahrungsbericht
Viele Unternehmen stellen derzeit um auf eine agile Projektplanung. Doch die Transformation gelingt nicht von heute auf morgen. Coach und Berater Jörg Tausendfreund berichtet über seine ganz persönlichen Erfahrungen bei der Einführung agiler Vorgehensweisen in einem mittelständischen Unternehmen.
„Wir möchten in unserer Projektarbeit etwas verändern, weil die Projekte nicht mehr so gelingen wie früher einmal. Wir müssen agil werden! Wir brauchen ein agiles Projektmanagement!“ - so hörte sich im Großen und Ganzen das erste Briefing durch den Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in einem gemeinsamen Gespräch an. Ich kannte die Firma schon eine Weile und hatte mit der einen oder anderen Abteilung bereits im Rahmen kleinerer Projekte zusammengearbeitet. Was soll ich sagen? Ich war begeistert.
Als Berater für die Weiterentwicklung klassischer Projekt-Arbeit und das „Tuning von Projektprozessen“ war ich nun schon eine Zeit lang aktiv gewesen. Seit einigen Jahren setzte ich mich mit kontinuierlich wachsender Begeisterung mit dem agilen Gedankengut auseinander. Als externer Berater hatte ich einige Scrum-Projekte in unterschiedlichen Rollen begleitet und – was noch viel wichtiger ist – gesehen, dass es funktioniert.
Ich habe gesehen, dass agiles Arbeiten tatsächlich nicht nur in der Welt der Software-Unternehmen, sondern auch in anderen Kontexten erfolgreich durchgeführt werden kann.
Zum ersten Mal die Chance zu haben, ein Unternehmen bei der Transformation in das agile Arbeiten von Anfang an zu begleiten: Wow! Genau mein Ding. Ich wollte alles richtig machen. Das Projekt sollte perfekt werden. Doch das war leichter gesagt, als getan. Die Botschaft war, so schnell wie möglich agile Projekt-Arbeit ins Laufen zu bringen und direkt zwei Bereiche im Unternehmen vom klassischen Arbeiten ins agile Handeln zu transformieren. Eine weitere Botschaft war auch schnell klar: „Sie kümmern sich um die Teams und der Rest des Unternehmens wird sich auf das einstellen, was dann passiert.“ Den Auftrag wollte ich nicht verlieren, denn es war eben einfach eine große Chance. Also: gesagt, getan. Wenn auch mit einem etwas mulmigen Gefühl. Tatsächlich geschah etwas, was ich nicht erwartet hatte: Das „Veränderungs-Projekt“ lief erstaunlich gut an. Die Mitarbeiter der besagten Bereiche wurden im agilen Projektmanagement (Scrum) grundausgebildet. Für designierte Product Owner und Scrum Master wurden zusätzliche Ausbildungen eingekauft.
Die Rollen in den Teams waren also geklärt. Die Mitglieder waren motiviert und bereit, denn schließlich ergab sich für alle eine grandiose Chance, etwas zu bewegen. Doch aus heutiger Sicht nicht verwunderlich, fingen direkt die Probleme an.
Selbstorganisierte Teams? Kann das funktionieren? JA!
Kaum waren wir aus den Startlöchern, waren auch schon die ersten Hindernisse in Sicht. Zwei Bereichsleiter waren damit „überfordert“, dass es plötzlich keinen Projektplan mehr geben sollte. Die Teams sollen ihre Arbeit selbst organisieren? Unmöglich! Und warum nimmt der Scrum Master die Rolle des Projektleiters nicht wahr? Das war jedoch leider nur eine der unmittelbaren Baustellen. Angerenzende Bereiche und unterstützende Teams für den Entwicklungsprozess im Unternehmen waren komplett mit der neuen Form der Zusammenarbeit überfordert. Konflikte entstanden und aus effektiver Projektarbeit entwickelten sich schnell unglückliche Grabenkriege. Das alles ging so schnell, dass ich - der Berater - nach kurzer Zeit beziehungsweise bei meinem nächsten Review mehr oder weniger einen Trümmerhaufen vorfand und direkt beim Geschäftsführer vorsprechen durfte. Die Arbeit und die agile Herangehensweise wurden in Frage gestellt - und leider (aber auch nicht anders zu erwarten) die Bedenken und Anregungen vom Start ausgeblendet. Glücklicherweise gab es im Kreise der Bereichsleiter einen starken Fürsprecher. Nach einigem Hin und Her sollte es dann doch weitergehen.
In Folge 2 spricht Jörg Tausendfreund gemeinsam mit Miriam Lerch über die Bedeutung und Herkunft von Agilität.
Agiles Verständnis und Weiterbildungen
Nachdem erst einmal alles auf „Halt“ gesetzt worden war, haben wir angefangen, Stück für Stück „aufzuräumen“ und nochmal mehr oder weniger von vorne begonnen. Und zwar an der Spitze. Es wurde ein konsequentes Informations- und Schulungskonzept entwickelt und so umgesetzt, dass am Ende das erste agile Projekt auch wirklich agil durchgeführt werden konnte. Neben emotionalem Lehrgeld habe ich auch viel Zeit und Mühe investieren dürfen. Doch am Ende war dies eines meiner wichtigsten Projekte. Ich habe exakt das erlebt, was sonst immer nur in Artikeln beschrieben wird:
Veränderung kann nicht einfach nur irgendwo in der Organisation aufgesetzt werden, denn das gesamte System muss „mitgehen“ und „mitwachsen“, selbst wenn nicht alle Bereiche aktiv „mitmachen“ - und das gilt auch und ganz besonders für den Wandel vom klassischen zum agilen Vorgehen. Was ich inzwischen in zahlreichen guten Projekten genau so erleben durfte. Wie immer: Die größten Herausforderungen führen zum größten Wachstum.
Mein Fazit für die erfolgreiche Einführung eines agilen Projektmanagements:
Wir müssen ganz oben anfangen. Es braucht ein 100%iges „Buy-In“ des Managements und ein gemeinsames Verständnis davon, was mit agiler Arbeit erreicht werden soll, wie der Weg dorthin verlaufen wird und welche Veränderungen tatsächlich - und vor allem wann - eintreten werden. Zusätzlich muss das Management, genauso wie die Mitarbeiter, in der agilen Arbeitsweise geschult werden. Eine Präsentation im Management-Kreis reicht nicht aus. Vor der echten Einführung im gesamten Unternehmen braucht es ein erstes Pilotprojekt, das mit einer kleinen Einheit durchgeführt wird. Und im Anschluss muss dieses Projekt kritisch evaluiert werden, um eine Entscheidung zu treffen, ob agiles Arbeiten im Unternehmen überhaupt Sinn macht. Zum Schluss braucht es noch das Durchhalten der gesamten Organisation, bis eine Kultur des agilen Arbeitens an den relevanten Stellen entstanden ist - und dann gelebt werden kann. Der Weg zum agilen Arbeiten ist mindestens herausfordernd, aber es lohnt sich dran zu bleiben.