Joerg Tausendfreund ● 10.7.2019
Agiles Arbeiten will gelernt sein! Ein Erfahrungsbericht
Wir blicken hinter die Kulissen des (gar nicht so) einfachen Aufbruchs in die neue Arbeitswelt. Sie erfahren, was es braucht, um mit einem Team ins agile Business zu starten, welche Hindernisse auf Sie zukommen und wie Sie diese überwinden. Let´s get agile!
Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich als externer Begleiter den wunderbaren Auftrag erhalten, ein Team bei seinem Aufbruch in die agile Welt zu begleiten. Und dies ist die Geschichte vom Start und von den ersten Lernerfahrungen:
Die Ausgangslage: Agiles Arbeiten ist "in"!
So kam es, dass ich eines Tages mit dem Bereichsleiter eines Unternehmens in seinem Büro saß und wir gemeinsam darüber nachgedacht haben, wie wohl eine Art „Prototyp“ für agiles Arbeiten aussehen könnte. Es war ziemlich schnell klar, dass ein Team die vermeintliche Ehre haben sollte und, weil sich dort auch ein größeres Projekt abzeichnete, als eine Art „Test-Team“ das agile Arbeiten einführen oder, vielleicht besser, ausprobieren sollte. Dies in enger Begleitung meinerseits und mit – erfreulicherweise – relativ großem Spielraum in Bezug auf unseren Weg zum agilen Arbeiten.
An der einen oder anderen Stelle mögen Sie vielleicht gelesen haben, dass der Aufbruch in die agile Welt eine unternehmensweite Anstrengung sein sollte und dass es den Wandel von der Spitze her braucht. Das ist nicht meine Haltung. Ganz besonders nicht basierend auf den Erfahrungen, die ich in mittelständischen, inhabergeführten, traditionellen Unternehmen hier im Süden Deutschlands gemacht habe. Dem "Agilen" wird einerseits immer noch mit viel Skepsis, aber auch mit immer mehr Neugier begegnet. Denn an vielen Stellen, auch getragen durch jüngere, innovative und experimentierfreudige Mitarbeiter, hält langsam aber sicher die Erkenntnis, dass traditionelle Herangehensweisen nicht die Lösung für neue Herausforderungen oder die VUKA-Welt sind, Einzug. Und so kommt es hier häufig eher zu ersten zaghaften Tests mit einem „Versuchsballon“. Einfach aus der Perspektive mal zu schauen, was passiert, bevor man das gesamte Unternehmen verrückt macht. Die Erfahrung zeigt hier, dass es dafür einfach einige Voraussetzungen braucht, die vorab geschaffen werden sollten – und dass man dann durchaus erfolgreich einen solchen Versuch gestalten kann.
So war es auch in diesem Fall gewesen. Mit einem kleinen Team sollte gestartet werden. Als eine der Rahmenbedingungen wurde beschlossen, dass die externe Begleitung jeweils in sogenannten Micro-Seminaren erfolgen sollte. Also sehr kompakte Workshop-artige Seminare, in denen in 2 - 3 Stunden jeweils Impulse gesetzt werden sollten. Der Ansatz war dann, dass das Team versuchen würde, diese Impulse in die tägliche Arbeit einfließen zu lassen, Erfahrungen zu machen, zu reflektieren und daraus direkt im Sinne der weiteren Optimierung des Arbeitens zu lernen. Soweit die Theorie und die ganz wunderbare Idee. Die Realität sah dann doch etwas anders aus. Der Weg ins Agile sollte über die Methoden gelingen. Das heißt, dass wir über das Einbinden von agilen Methoden es dem Team ermöglichen wollten, einen mehr oder weniger sanften Übergang ins „andere“ Arbeiten zu finden.
Die Entscheidung dafür lag in der Historie des Unternehmens und in der Struktur des Teams begründet. Und dies ist bestimmt schon ein erstes "Take away"… (Eine Zusammenfassung lesen Sie am Ende des Beitrags).
1. Tipp:
Wenn Sie ins Agile starten wollen, dann sollten Sie pauschalen Anleitungen und „so macht man das“ Blaupausen sehr kritisch gegenüber stehen. Jedes Unternehmen und jedes Team ist einzigartig. Und etwas Einzigartiges passt ganz selten durch eine Schablone. Oder wenn Sie sich für eine Schablone entscheiden, dann werden Sie sinnbildlich entweder erleben, dass Sie an ganz vielen Stellen einen erheblichen Verlust haben, weil die Schablone zu eng ist und nicht passt oder Sie werden erleben, dass der Rahmen so weit ist, dass es sich überhaupt nicht richtig anfühlt.
Das Team war vorinformiert und eingeladen und so ging es los. An einem Dienstagvormittag. Nach einer fulminanten Einleitung des Bereichsleiters und der Vorstellung der Hintergründe, die dazu geführt haben, dass sich das Unternehmen mit einer anderen Art Projektarbeit zu gestalten befassen möchte, ging es dann auch schon los. Wir starteten also mit unserem ersten Workshop und beschäftigten uns mit dem Status Quo der aktuellen Projektarbeit und mit den ersten Methoden aus dem Werkzeugkasten des Agilen Arbeitens. Und ganz klar… in der Theorie des Seminarraums war allen alles klar. Wir arbeiteten ganz wunderbar. Das Team machte einen interessierten und willigen Eindruck – auf mich. Und tatsächlich wurden mit einigem Elan auch die ersten Schritte beschlossen und sollten bis zum nächsten Meeting auch umgesetzt werden. So gingen wir auseinander. Ich mit dem Gefühl, dass alles viel zu rund gelaufen war. Aber du sollst ja immer bereit sein dich positiv überraschen zu lassen. Dass dieses Gefühl durchaus richtig war, zeigte sich später durch einen Kommentar eines Teilnehmers:
„Der Versuch, das Ganze in die Praxis zu übertragen war wie eine Operation am Offenen Herzen – auf der Ladefläche eines LKW, der über eine holperige Gebirgsstraße fährt.“
Dem ist nicht hinzuzufügen.
Eine Woche später trafen wir uns zum zweiten Meeting. Wir starteten mehr oder weniger mit einer Variante eines „Daily Stand ups“. (Es wurde beschlossen, das wir dies zu Beginn einmal die Woche tun wollen. Hintergrund dazu war, dass es unter anderem auch noch viele Unsicherheiten hinsichtlich der Moderation und der sicheren Durchführung eines solchen Meetings gab. Das lag zum Teil einfach in der bisher erlebten Meeting- und Unternehmenskultur begründet und zum anderen im noch lückenhaften Skill-Set der Teilnehmer. Ziel sollte es jedoch sein, dass zukünftig jede Person aus dem Team ein „Daily“ moderieren können sollte. Was sicherlich etwas außerhalb einer Herangehensweise wie zum Beispiel der Methode SCRUM mit der Rolle des Scrum-Masters liegt. Doch eben in der maßgeschneiderten Abstimmung mit der Geschäftsleitung und der Bereichsleitung wurde ziemlich schnell klar, dass man das Skill-Set der Moderation gerne bei jedem der Team-Mitglieder optimieren wollte. Unter anderem natürlich auch mit dem Gedanken aus diesem Kern-Team heraus ggf. Multiplikatoren zu rekrutieren, die im weiteren Verlauf quasi als Botschafter des Agilen Arbeiten fungieren und andere Teams und Bereiche unterstützen können sollten.
Hier klicken und mehr über Scrum erfahren.
Problem erkennen: Das agile Verständnis fehlt!
In unserem zweiten Meeting zeigte sich sehr schnell, dass wir zwar über Dinge gesprochen hatten, jedoch das Verständnis und vor allem das Verständnis zu unseren Vokabeln doch noch nicht so klar gewesen war, wie ursprünglich vom Team angenommen. Nach dem Statusabgleich beschäftigten wir uns also mit den Begrifflichkeiten und wie wir (das Team) sie verstehen und anwenden wollten. Das Ganze lief wieder erstaunlich gut. Und wir arbeiteten uns gemeinsam durch die Micro-Impuls-Agenda und gingen mit neuen Aufgaben und Methoden für die Umsetzung in der Zwischenzeit auseinander. So ging das auch noch über das Meeting drei bis fünf. Und immer war vieles fein. Klar, gab es die üblichen Rückschläge und es wurde in unseren Meetings berichtet, dass das eine oder andere nicht klappte, aber grundsätzlich war die Stimmung positiv.
2. Tipp:
Die Theorie sieht ganz einfach aus. Doch in der praktischen Umsetzung zeigen sich erst die echten Herausforderungen und die Hindernisse. Dies liegt primär daran, dass sie in der Theorie einfach noch gar nicht erkannt werden können, sondern nur in der Praxis.
Im sechsten Meeting starteten wir mit einem Review zum aktuellen Stand. Der Review viel – endlich – sehr negativ aus. Und zum ersten Mal äußerten die Teilnehmer ihren Frust mit der aktuellen Situation und mit den Veränderungen. Es fühle sich alles aufgesetzt an. Der eine oder andere erlebte sich als mutlos oder auch als frustriert. Innerer Widerstand wurde fühlbar. Aus meiner Sicht – endlich. Denn das Ganze war bisher viel zu rund und zu gut gelaufen. Ich hatte fast das Gefühl gehabt, dass die Teilnehmer in den Meetings mir oder wem auch immer einen Gefallen tun wollten, in dem sie berichteten, wie gut doch alles läuft. Tatsächlich brachte es jedoch ein Teilnehmer sehr gut auf den Punkt: „Wir haben hier schon so oft etwas Neues angefangen. Und am Ende wurde es dann doch nicht durchgezogen. Warum soll das jetzt anders sein?“
Widerstand aus dem Team
Eine Antwort hatte ich auch nicht. Ich hatte dafür ein hohes Maß an Dankbarkeit, denn endlich gab es einmal echte Emotion und Widerstand. Doch warum erst jetzt? Klar. Die Teilnehmer an diesem „Experiment“ brauchen sechs Treffen, um Vertrauen zu schöpfen und tatsächlich zu glauben, dass ich (obwohl externer Berater) auf ihrer Seite war und das Beste mit ihnen gemeinsam erreichen wollte. Das Ganze konnte jetzt mit der Bereichsleitung und der Geschäftsleitung aufbereitet werden und ein neuerliches Commitment für die Einführung dieser Arbeitsweise in diesem Team eingeholt werden. Und mit der wertschätzenden Kommunikation „von oben“ und den damit neu geschaffenen Impulsen konnte es dann weitergehen. Die Meetings wurden fortgesetzt und das Team wurde gleichzeitig immer selbständiger. Bald konnte die Begleitung von wöchentlich auf vier-wöchentlich verändert werden und die Frequenz der „Daily Meetings“ wurde auf tatsächlich täglich innerhalb des Teams gesteigert und auch immer souveräner moderiert.
Im schnellen Vorlauf… wo stehen wir heute nach knapp sechs Monaten? Es ist noch lange nicht alles optimal und rund. Doch die Erfahrungen im Team, in der Zusammenarbeit und vor allem auch der Performance sind sehr vielversprechend. Und die Unternehmensleitung denkt darüber nach das „Experiment“ zu erweitern.
Jörg Tausendfreund über das Agile Arbeiten und das Einführen einer neuen Fehlerkultur.
Aufbruch in die agile Welt: Das Ergebnis
Im Ergebnis bis hier her bleibt der Prozess des Aufbruchs in die Agile Welt ein spannendes Abenteuer, das vielleicht nicht immer wie eine Operation am Offenen Herzen sein muss. Und doch eben einfach ganz bestimmte Dinge braucht: Eine gute Planung, Geduld auf allen Seiten und den Mut in der Praxis Erfahrungen zu sammeln, zu lernen, zu reflektieren und täglich ein kleines bisschen besser zu werden.
Übrigens, Sie haben es vielleicht gemerkt oder sogar vermisst. Ich bin relativ wenig auf die Methoden in dieser Erzählung eingegangen. Darauf kommt es aus meiner Sicht auch nicht an, obwohl wir mit den Methoden gestartet haben. Die Methoden sind aus dieser Sicht nur ein Medium, um die Idee zu transportieren – und sicherlich austauschbar. Es kommt in der Phase des Aufbruchs viel mehr darauf an eben ins Tun zu kommen, Erlebnisse zu schaffen, Erfahrungen zu ermöglichen und Raum für Reflektion zu geben. Sodass es für die Teilnehmer möglich wird gelernte, alte Herangehensweisen (die alte Kultur) hinter sich zu lassen und neue Herangehensweisen langsam zu etablieren.
6 Tipps oder Take aways – für den Aufbruch in die agile Welt…
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Der Weg ins Agile Arbeiten ist sehr individuell und sollte sehr individuell für eine Organisation oder ein Team gestaltet werden.
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Die Theorie sieht ganz einfach aus. Doch in der praktischen Umsetzung zeigen sich erst die echten Herausforderungen und die Hindernisse. Dies liegt primär daran, dass sie in der Theorie einfach noch gar nicht erkannt werden können, sondern nur in der Praxis.
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Alle Teammitglieder sollten in den Techniken und Methoden (zum Beispiel auch Moderation) ausgebildet werden. So gibt es gerade bei Team die aus einem eher stark hierarchisch orientierten Kontext ins agile Arbeiten begleitet werden sollen nicht den „Macht durch Wissen“ Faktor, das wieder ein Gefälle entstehen lassen kann.
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Es geht darum ins Tun zu kommen, Erlebnisse zu schaffen und Erfahrungen zu ermöglichen – und Raum für Reflektion und auch Zweifel zu gewähren.
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Mit Zweifeln und Mutlosigkeit gut umgehen, Widerstände wertschätzen, aufnehmen und gemeinsam mit allen Beteiligten thematisieren und lösen. Erneut… Erlebnisse und Erfahrungen schaffen.
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Täglich ein kleines bisschen besser werden als gemeinsamer Ansatz und das Vertrauen auf allen Seiten.