Britta Bonten ● 2.7.2021

Hört, hört! Warum aktives Zuhören für Führungskräfte so wichtig ist

Hand aufs Herz: Gehören Sie auch zu den Führungskräften, die lieber reden als zuhören? Möchten Sie lieber als Macher*in rüberkommen? Aktiv, dynamisch erscheinen und das Gespräch gerne führen und lenken? In der zuhörenden Rolle kommen Sie sich eher als schwach, vielleicht sogar inkompetent vor? 

Sie meinen beim Zuhören die Kontrolle aus den Händen zu geben? Warum Zuhören ein durchaus aktiver Prozess, gleichzeitig eine Kunst ist und was das mit orangefarbenen Bänken in New York zu tun hat, erfahren Sie in diesem Beitrag. Vielleicht finden Sie jemanden, der*die Ihnen diesen Text vorliest – einfach zuhören!

Hören ist nicht gleich (zu-)hören

Dass wir Menschen über unser Hören dreimal mehr Informationen aufnehmen als über das Lesen, zeigt zum einen, wie wichtig unser Hörsinn ist; zum anderen ist es Grund genug, ihm mehr Aufmerksamkeit zu schenken! Klar, bei spannenden Inhalten und eloquenten Sprechenden stellen wir unsere Lauscher begeisterter auf als bei langweiligem Blabla, von dem wir uns schneller ablenken lassen.

Laut Onlineversion des Duden bedeutet hören „akustisch wahrnehmen“. Zuhören (auch anhören) geht einen Schritt weiter und bedeutet so viel wie „wenden wir uns aufmerksam“ dem Gesagten zu, „das akustisch Wahrgenommene verstehen“ und „hörend in uns aufnehmen“.

Was das aktive Zuhören ausmacht

Aktives Zuhören als Königsklasse setzt noch eins drauf: Hierbei verstehen wir nicht nur die reinen Inhalte, sondern auch die Zwischentöne. Das sind die „Requisiten“, die die gesprochenen Wörter in Szene setzen: von Intonation und Stimmfarbe über Lautstärke und Lebendigkeit der Stimme bis hin zu nonverbaler Kommunikation wie Mimik & Gestik. Um diese erfassen zu können, müssen wir nicht überaus sensibel oder am Theater gewesen sein, etwas Empathie und Menschenkenntnis reichen aus. Als Führungskraft verfügen Sie gewiss über eine grundlegende Menschenkenntnis und verstehen sich als MenschenfreundIn.

Was ist aktiv an aktivem Zuhören?

Beim aktiven Zuhören ist das Ziel, das Gesagte in all seinen Facetten verstehen zu wollen sowie sich in die Gesprächsperson hineinzuversetzen, um deren Situation oder Motivation zu begreifen. Für den Kommunikationspsychologen Professor Lyman K. Steil bedeutet zuhören das inhaltliche Begreifen. Wer gut zuhört, ist uneingeschränkt auf den oder die Gesprächspartner:in konzentriert und widmet sich dem Gesagten. Damit wird Zuhören – ebenso wie das Sprechen – zu einem aktiven Prozess. Also genau das Gegenteil von Passivität, Schwäche und Kontrollverlust wie zuvor erwähnt. Uns erscheint es als passiv, weil unsere Stimme stumm bleibt. Wer aktiv zuhört, kann nicht gleichzeitig reden.

Einfach mal die Klappe halten!

Halten wir fest: Mit konzentrierter Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und aufrichtigem Interesse am Gegenüber gelingt es uns, aktiv zuzuhören. Wichtig ist, für die Dauer des Zuhörens sich selber mit Kommentaren und der eigenen Sicht auf die Dinge aktiv zurückzunehmen.

Aktiv zuhören zu können, ist die Grundlage jedes verbalen Austauschs zwischen Menschen. Fehlt diese Basis, gerät ein Gespräch schnell in ein sich gegenseitiges Überbietenwollen oder Aneinandervorbeirauschen von Wortsalven – zwei parallel geführte Monologe mit Erkenntnisleere. Ein Dialog, von dem die Teilnehmenden profitieren, kommt nicht zustande.

Was hält uns vom (aktiven) Zuhören ab?

Wir stehen uns selbst am nächsten: Ob privat oder beruflich, viele von uns sind mit sich selber mehr als ausreichend beschäftigt. Und manche meinen, der Kosmos drehe sich ausschließlich um sie selber. Kurz, es gibt viele egozentrierte Menschen, die den Blick für andere ausblenden.

Hinzu kommt, dass wir viele Entscheidungen immer kurzfristiger treffen müssen. Es herrscht oft Zeitdruck, wir empfinden uns wie ferngesteuert. Kurznachrichten haben Hochkonjunktur. Muße und Zeit für ausgiebige Gespräche, finden wir nur in Ausnahmesituationen. Reden ist das Mittel zur Selbstbestätigung geworden. Es gibt uns das Gefühl, die Kontrolle zu haben und Einfluss nehmen zu können. Kurz: Reden vermittelt und Selbstbestätigung.

Männer schneiden beim Zuhören schlechter ab – als Frauen und Alte!

Beim Zuhören meinen manche Führungskräfte, ihr Ego würde auf der Strecke bleiben. Provokante Frage: Haben Frauen im Vergleich zu Männern kleinere Egos? Diese Frage beantwortet die Studie von Jack Zenger, CEO und Bestsellerautor für Leadership, mit ja. Sie ergab bei mehr als 4300 Befragten weltweit, dass grundsätzlich Frauen eine bessere Zuhörfähigkeit besitzen als Männer und zwar in allen Altersgruppen! Auch ihre Präferenz gerne zuzuhören, ist größer als die der Männer.

Ein weiteres Ergebnis war, dass je älter beide Geschlechter werden, ihre Zuhörkompetenz steigt. Diese Beobachtung mag darin begründet sein, dass wir mit zunehmendem Alter interessierter werden und wir bessere Zuhör-Fähigkeiten haben. Warum? Im Alter haben haben wir uns und anderen weniger zu beweisen. Das Ego wird im Alter unwichtiger.

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Ein Hoffnungsschimmer: Zuhören kann man(n) lernen!

Hier eine gute Nachricht für alle, die sich jung genug fühlen, um zu lernen: Aktives Zuhören kann gelernt und durch gezieltes Üben trainiert werden. Wie ein Muskel. Ähnlich zur Lesekompetenz wird mit Übungen die eigene Zuhör-Kompetenz entfaltet und gestärkt.

Nur wer gut zuhören kann, kann auch ein guter Manager fürs Team sein!

"Listening is a commitment and a compliment.", schreiben Matthew McKay, Martha Davis, und Patrick Fanning im Buch How to Communicate. Abgesehen von der Verpflichtung oder der Zusage, ist Zuhören ein Kompliment, weil man zeigt: Ich habe Interesse an dir; ich möchte wissen, wie es dir geht und ich nehme mir Zeit, das zu erfahren. Zuhören ist eine Form der Wertschätzung unseres Gegenübers und bildet gleichzeitig eine, wenn nicht DIE wesentliche Komponente für menschliches Miteinander: Vertrauen.

Nicht der Stress macht krank, sondern mangelndes Zuhören im Job

Wussten Sie, dass nicht der Stresslevel im Arbeitsumfeld für viele Burn-outs verantwortlich ist, sondern vielmehr ein fehlender Austausch über genau diesen Stress? Das Fehlen von aufrichtig zuhörenden Mitmenschen also. Das hat Amy Edmondson, Professorin für „Leadership and Management“ von der Harvard Business School, bereits Ende der 1990er Jahre herausgefunden. Ihr „Psychological Safety-Konzept“ bedeutet, dass sich Mitarbeitende erst dann in ihren Arbeitsrollen sicher fühlen und entfalten können, wenn ihnen andere bei der Arbeit zuhören, ihr Anliegen verstehen, sie miteinander diskutieren und keine Scheu haben, Fragen zu stellen. Vor allem, wenn die Mitarbeitenden so behandelt werden, wie jede*r selbst auch behandelt werden möchte: respektvoll und mit Aufmerksamkeit.

Zuhören: Das Front-End für Entscheidungen

Arne Duncan, ehemaliger Bildungsminister der USA unter Barack Obama, hat sein Zuhören konsequent in die Tat umgesetzt. In seinen Meetings erwartete er von allen Teilnehmenden, sich aktiv zu beteiligen. Er forderte ihre offenen und kritischen Anmerkungen zu seinen Ideen zu äußern! Sein Ziel war eine gemeinsame Maßnahme zu formulieren, nicht ein gemeinsames Denken. Oder mit anderen Worten: Listening is the front end of decision making!“

Dem Servant Leader genügt eine einzige Frage

Die eigenen Mitarbeitenden zu beflügeln und in den Fokus zu rücken, umschreibt das Konzept des Servant Leadership aus den 1970er Jahren. Der Servant Leader rückt eine einzige Frage in seinen Fokus: Wie kann ich das Leben meiner Teammitglieder leichter gestalten – physisch, kognitiv und emotional?

Untersuchungen ergaben, dass die Mentalität des Servant Leadership sowohl die Team-Leistung als auch die Zufriedenheit verbessert hat. Außerdem fühlten sich ebenso die Führungskräfte glücklicher und empfanden ihre Rolle als bedeutsamer, weil sie anderen helfen konnten.

Neuer Call-to-Action

Zufriedenheit der Mitarbeitenden liegt in Händen der Führungskräfte

Laut McKinsey Quarterly vom September 2020 gilt die Zufriedenheit der Mitarbeitenden als DIE aktuell wichtigste Aufgabe von Führungskräften. Denn: Die Verbindung zwischen Zufriedenheit im Job und allgemeiner Lebenszufriedenheit hat bei weltweit 2,1 Mrd. Arbeitnehmer:innen einen enormen Einfluss auf die Profitabilität und Leistungsstärke von Unternehmen. Immerhin hängt das Lebensglück zu 25 Prozent an der Job-Zufriedenheit.

Neben einer interessanten Aufgabe (35%) und anderen Faktoren (26%), bilden mit 39% die zwischenmenschlichen Beziehungen den ausschlaggebenden Faktor für die Arbeits-Zufriedenheit. Hierbei spielen für 86 Prozent der Befragten die Beziehungen zu Vorgesetzten die Hauptrolle – magere 14 Prozent nennen die Beziehungen zu Kolleg*innen.

Infolgedessen tragen Führungskräfte eine extreme Verantwortung – nicht auf Umsatzzahlen oder Kosten bezogen, sondern auf den „menschlichen Wert“ ihrer Mitarbeitenden. Diesen mit Wertschätzung zu begegnen, z. B. durch aktives Zuhören, ist der Schlüssel. Und mittel- bis langfristig zahlt sich diese zwischenmenschliche Wertschätzung auch für Umsatz- und Geschäftszahlen aus.

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Wie Zuhören pragmatisch umgesetzt wird

Welchen Stellenwert das Zuhören für die seelische Gesundheit haben kann, zeigt das Konzept der „Friendship Benches“, der Freundschaftsbänke, aktuell in New York. Deren Idee übertrug die ehemalige Leiterin des New Yorker Gesundheitsamts, Mary Bassett, aus Zimbabwe. Hier war sie als Ärztin tätig war und lernte eine Therapieform kennen, die bereits in den 80er Jahren bei HIV- und Tuberkulose-Patient:innen sowie später auch bei traumatisierten Opfern des brutalen Mugabe-Regimes zum Einsatz kam: Wegen fehlender Therapeuten erfüllten grannies, also Großmütter (und nicht Großväter!), ihre Funktion.

Die grannies wurden auf ihre Aufgabe von einem Psychiater fachlich vorbereitet, ihre eigentlichen Vorteile aber waren ihre Lebenserfahrung, sie sprachen die Sprache der Menschen ohne Fachbegriffe und hatten Geduld, ihnen zuzuhören. 2016 wurde ihnen in einer klinischen Studie eine höhere Erfolgsquote bescheinigt als der staatlichen Standardversorgung. Sie schlugen aus Mangel an geeigneten Räumlichkeiten in Harare vor, sich mit den Hilfesuchenden auf einer schattigen Freundschaftsbank zu treffen. Purer Pragmatismus, von dem wir lernen können.

Nicht nur in New York ist die Zahl der durch die Pandemie gestressten und seelisch belasteten Menschen gestiegen. Dort leiden eine halbe Million Menschen unter Depressionen und seelischen Erkrankungen. Weniger als die Hälfte ist in Behandlung. Mit dem Service des New York City Department of Health and Mental Hygiene hören geschulte Seelen-Ersthelfer:innen den Betroffenen zu – auf orange Plastikbänken, die in der Stadt verteilt stehen. Menschen sind vor allem von akuter Wohnungsnot, fehlender medizinischen Versorgung, Drogen, Hunger und Armut betroffen.

Die HelferInnen haben in einem mehrwöchigen Training gelernt, wie sie die Erkrankten emotional unterstützen können. Es geht darum, ihnen zuzuhören, das Gesagte zu wiederholen, zu helfen, ihre Probleme zu verstehen, Lösungen für ihre Probleme zu entwickeln und das Ergebnis anzunehmen.

Das Motto des Erste Hilfe-Programms der Freundschaftsbänke: Wenn ich zuhöre, habe ich Einfluss! Wir erinnern uns – Zuhören als aktiver Prozess!

Fazit

Wenn Sie sich demnächst wieder dabei ertappen sollten, mehr zu reden als Ihrem Gegenüber zuzuhören (ein empfohlenes Verhältnis von reden zu zuhören ist im Übrigen 20:80), dann aktivieren Sie einfach das Zitat „But you can't be a great leader if you're a terrible listener”! (aus How to communicate von Matthew McKay, Martha Davis und Patrick Fanning). Oder überlegen Sie sich kurzerhand, wo Sie in Ihrem Unternehmen ein hübsches Plätzchen finden für eine orangefarbene Zuhör-Bank!

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