Anne M. Schueller ● 24.5.2019

Weiterbildung mal anders: die kollegiale Beratung

Kollaborative Prozesse finden im Management immer mehr Eingang. Dies gilt auch für die Weiterentwicklung einer Führungskraft. So setzt sich neben klassischen Karrieretools wie Mentoring und Coaching auch die kollegiale Beratung immer mehr durch.

 Wunschdenken und ein etwas verstellter Blick für die Wirklichkeit sind im Management eine große Gefahr. Gerade wenn es um die Karriere einer Führungskraft geht, können Selbsttäuschung, Fehleinschätzungen und „blinde Flecken“ (Joseph Luft/Harry Ingham) schnell das Aus bedeuten. Da kann ein Kollegencoaching sehr hilfreich sein. Dabei werden Führungstandems gebildet, die sich beim Agieren an den internen Touchpoints, also den Interaktionspunkten zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, gegenseitig beobachten und anschließend miteinander beraten. Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist ein Vertrauensverhältnis. Ferner braucht es Feedback-Knowhow.

 Eine zweite Variante ist die kollegiale Beratung. Dabei trifft man sich regelmäßig in einem Kreis von fünf bis sieben Personen, um delikate Management- und Führungsthemen strukturiert zu besprechen. Dies kann unternehmensintern mit Führungskollegen oder firmenübergreifend mit Führungskräften aus anderen Unternehmen erfolgen.

Die Voraussetzungen hier: keine Konkurrenzsituation, keine hierarchische Abhängigkeit, Diskretion, Freiwilligkeit, Führungs-Knowhow und die passende Chemie.

Wichtig ist zudem eine diversifizierte Zusammensetzung der Runde in Bezug auf Geschlecht, Alter und gegebenenfalls Nationalitäten. Die Teilnehmer betrachten sich als gleichwertig und begegnen sich auf Augenhöhe. Offenheit, Ehrlichkeit und absolute Vertraulichkeit sind als Spielregeln vorzugeben. Wer in seinem Unternehmen mit der kollegialen Beratung starten will, sollte im Vorfeld eine Methodenkompetenz-Schulung initiieren.

Unser Lesetipp: Die 6 Gebote für Social Learning

Drei unterschiedliche Rollen in der kollegialen Beratung

Bei der kollegialen Beratung gibt es drei unterschiedliche Rollen:

  • Der Ratsuchende: Er ist der Fallgeber und bereit, offen über sein Anliegen zu reden. Er schildert sein Problem, ohne sich dabei zu rechtfertigen. In den Arbeitsphasen der kollegialen Berater ist er ein stiller Beobachter. Er kommentiert die Lösungshypothesen der Berater nicht. Ohne „Wenn und Aber“ kann er aus dieser Position heraus neue Sichtweisen gewinnen oder Hürden und Blockaden erkennen.

  • Die kollegialen Berater: Sie treten dem Ratsuchenden respektvoll und mit ehrlichem Interesse entgegen. Sie akzeptieren, dass das Geschilderte für den Ratsuchenden ein Problem darstellt. Sie klären durch kluge Fragestellungen Faktenlage und Hintergründe. Sie geben jedoch weder persönliche Ratschläge noch sondern sie abfällige oder besserwisserische Kommentare ab. Im Beraterkreis suchen sie gemeinsam nach denkbaren Lösungsansätzen. Sie sind Impulsgeber und Ideenlieferanten.

  • Der Berater-Berater: Er schaltet sich nicht in die Lösungssuche ein, sondern beobachtet die kollegialen Berater bei ihrer Arbeit. Er greift nur dann ein, wenn Fehler in der Rollenmethodik passieren. Am Ende gibt er allen Beteiligten Feedback über die Qualität ihres Verhaltens. Er kann zusätzlich auch die Rolle des Moderators und Zeitwächters übernehmen.

So lernen alle Teilnehmer unterschiedliche Handlungsvarianten und neue Vorgehensweisen kennen. Die Führungsarbeit wird durch den Erfahrungsschatz aller bereichert und professionalisiert. Im Übrigen ist dies eine sehr kostengünstige Form der Karriereentwicklung. Durch die Bearbeitung konkreter Fälle ist sie klassischen Lernformen  – wie etwa generalistischen Seminaren und rezeptartigen Trainings – auch klar überlegen.

Der Ablauf einer kollegialen Beratung im Detail

Hier wird in Anlehnung an Bernd Schmid, den Begründer der systemischen Transaktionsanalyse, der Ablauf einer solchen kollegialen Beratung beispielhaft wiedergegeben:

5 Min.

Der Ratsuchende stellt sein Anliegen vor, am besten via Storytelling, und formuliert seine zentrale Fragestellung. Dabei wird er von den Beratern nicht unterbrochen.

10 Min.

Die kollegialen Berater stellen neutrale Verständnisfragen, um die Sachlage zu klären, sie geben aber keinerlei Meinungen ab.

10 Min.

Die kollegialen Berater entwickeln mögliche Hypothesen zur Problemlösung. Diese werden diskutiert. Die einzelnen Ansätze werden nicht bewertet, sondern stehen nebeneinander. Der Ratsuchende hört still zu, ohne in die Diskussion einzugreifen.

5 Min.

Der Ratsuchende favorisiert einen der Lösungsansätze – ohne seine Entscheidung zu begründen. Die Berater schweigen.

10 Min.

Die gewählte Idee wird von den Beratern praxistauglich weiterentwickelt. Der Ratsuchende hört still zu, ohne einzugreifen.

5 Min.

Der Ratsuchende teilt mit, welche Ansätze für ihn die wertvollsten waren und zu welchen Schritten er sich entschieden hat. Die Berater nehmen diese Entscheidung ohne weitere Kommentare an.

10 Min.

Der Berater-Berater gibt den Teilnehmern Feedback zum Prozessverlauf. Dann erfolgt eine Prozessreflexion: Was haben wir gelernt? Und was soll sich bessern?

Beim darauf folgenden Treffen berichtet der Ratsuchende, wie sich die Sache weiterentwickelt hat. Danach wird ein neuer Fall vorgetragen. So kann für eine kollegiale Beratungssequenz, wenn jeweils nur ein Fall besprochen wird, bei ausreichender Disziplin eine Stunde angesetzt werden.

Leadership, New Work