Viele Führungskräfte fürchten angesichts neuer, agiler Organisationsformen, an Macht zu verlieren und in den Untiefen der Unwichtigkeit zu verschwinden. Doch was sie vergessen: Sie gewinnen mehr, als sie verlieren. Über den Changeprozess in der Führungsetage.
Auf dem Podium in einem vor zwei Jahren auf einer HR-Konferenz. Der Geschäftsführer eines Unternehmens der Stadt Wien erzählt davon, wie es war, Holacracy im Unternehmen einzuführen – also jene Organisationsform, die auf personell verantwortliche Führungskräfte weitgehend verzichtet und stattdessen Entscheidungen von Mitarbeitergremien treffen lässt.
„Ich habe mich de facto selbst abgeschafft“,
erzählt der Geschäftsführer. „Zwei Wochen später fand ich mich beim Therapeuten wieder: Ich konnte mit meinem Machtverlust schlechter umgehen als gedacht.“
Dabei war der Mann willig gewesen, das Zepter aus der Hand zu geben. Doch genau daran scheitern Versuche, neue Organisationsformen mit mehr Selbstorganisation in Unternehmen einzuführen: die Angst vor dem Machtverlust. Jahrelang haben doch so manche Führungskräfte auf ihre Position hingearbeitet. Wofür die viele Arbeit, wenn jetzt alles umsonst gewesen sein soll? Auf den ersten Blick verlieren sie alles, wenn agile Arbeitsformen eingeführt werden: Sie verlieren Entscheidungsmacht, Prestige, vielleicht auch Bonuszahlungen. Vielleicht sind sie auch wieder mehr gefordert, müssen mehr operativ tätig sein und sich einbringen. Wo agil gearbeitet wird, fällt die Weisungsbefugnis häufig weg.
Davon erzählt auch Caterine Schwierz der Karriere- und Outplacementberatung Rundstedt. Das Unternehmen hat sich im Jahr 2015 zum 30. Jubiläum neu aufgestellt. Agiles Management wurde eingeführt, die mittlere Managementebene abgeschafft. Caterine Schwierz hatte als Partnerin zuvor ein Team unter sich und traf alle wesentlichen Entscheidungen. „In der alten Welt war ich der Flaschenhals, der Bottleneck für Informationen. Einen Großteil meiner Arbeitszeit musste ich mein Team kontrollieren, Entscheidungen treffen und Konflikte lösen. Heute bin ich wieder operativ tätig und arbeite direkt mit Kunden.“ Die Mitarbeiter entscheiden vieles selbst. Partnerin ist Caterine Schwierz auch heute noch, Entscheidungsverantwortung hat sie aber abgegeben. Was nicht bedeutet, dass sie nicht führt – im Gegenteil:
„Ich bin heute Coach für meine Mitarbeiter. Ich stelle die richtigen Fragen und gebe nicht wie früher die Richtung vor.“
Die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, hatte sie wie einige ihrer Kollegen auch. „Doch das ist unbegründet. Führung wird sogar wichtiger – in Form von Inspiration“, meint sie. Wichtig war dabei, auch den Führungskräften zu kommunizieren, dass agiles Arbeiten das Unternehmen weiter nach vorne bringen würde: „Wir sind heute näher am Kunden dran und können rascher agieren und reagieren.“
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1. Freiraum: Dass man weit oder ganz oben alle Freiheiten hat, mitzugestalten, ist ein Mythos. Viele Führungskräfte klagen – erst einmal in ihren traditionellen Aufstiegen in der Höhenluft angekommen, dass sie noch mehr Zwängen unterliegen als zuvor. Zwar darf man seinem Team Weisungen erteilen und unliebsame Arbeit delegieren, aber: man unterliegt auch selbst den Weisungen von noch weiter oben. Und wenn es kein „weiter oben“ mehr gibt, kommt eben Druck von den Eigentümern und Shareholdern, dem Mutterkonzern, der Zentrale. Über die eigene Arbeitszeit hat man im Topmanagement schon gar keine freie Befugnis mehr. Der Terminkalender wird von anderen verwaltet. Wenn wir im Sinne des agilen Arbeitens Macht abgeben, gewinnen wir also das, was wir ja auch meist ersehnt haben: mehr Hoheit über unsere eigene Arbeitszeit.
2. Gestaltungsmacht: Weniger Macht heißt nicht, dass es keiner Führung mehr Bedarf. Man ist also alles andere als überflüssig geworden. Jetzt ist Menschenkenntnis, Feingefühl und organisationales Tiefenwissen gefragt. Steht der Sinn der Umstellung erst einmal klar erkenntlich, findet man sich mit der neuen Rolle auch besser zurecht. Reines Managen ist – im Idealfall – nur mehr bei Bedarf nötig. Man kann sich also wieder operativen Aufgaben zuwenden, die man ursprünglich gern gemacht hat. Wird etwa Scrum eingeführt, könnte der vormalige Projektleiter die Rolle des Product Owners und damit die fachliche Verantwortung und Budgethoheit übernehmen, oder in der Rolle des Scrum Master den anderen Teammitgliedern als Mentor und Trainer zur Seite stehen.
3. Reaktionsfähigkeit: Wo nicht mehr qua hierarchischer Position, sondern an der Basis entschieden wird, gibt es weniger Reportings, weniger Wartezeiten, weil diverse Führungskräfte ihren Sanktus geben müssen und weniger Frustration auf allen Ebenen. Aktion und Reaktion geschieht flüssiger, die Entscheidungswege sind kürzer, die Entscheidungen sind auch tendenziell eher im Sinne der Kunden und Märkte – da Menschen entscheiden, die echten Einblick haben.
4. "We go“ statt Ego: Das Wir gewinnt an Bedeutung. Oder besser gesagt: Das Wir erhält die Bedeutung, die es immer schon verdient hat. Das Berliner WeQ-Institut hat in einer großen Metastudie rund 200 Trends der neuen Arbeitswelt analysiert – darunter Social Entrepreneurship, Design Thinking, Open Source, Co-Creation. Das Ergebnis: All diese Phänomene haben eines gemeinsam – sie setzen auf das Potenzial des Miteinanders. Die Haltung der Zukunft heißt also: miteinander Großes schaffen statt sich in gegenseitiger Konkurrenz aufreiben. Es ist nicht mehr möglich und auch nicht mehr nötig, sich über Position und Verantwortung zu profilieren. Die Lorbeeren heimst im „We go“ - Modus nicht nur mehr der Leiter des Teams, der Abteilung oder des Unternehmens ein, sondern das Team selbst. Während das Ego stetig nach dem Höher, Schneller, Weiter strebt und nie zufrieden ist, kann sich aus dem gemeinsamen Erfolg, an dem alle auf Augenhöhe beteiligt sind, ein Gefühl echter Zufriedenheit und echten Stolzes einstellen. Ganz ohne Neid- und Konkurrenzdenken. Das fördert den Zusammenhalt und die Teammotivation.