Geeignete Bewerber zu rekrutieren ist im Zeitalter der digitalen Transformation für KMU alles andere als einfach. Active Sourcing oder Social Recruiting liegen schwer im Trend. Welche Strategie für kleine und mittelständische Unternehmen Sinn machen, lesen Sie im zweiten Teil unseres Experten-Interviews.
Holm Schmidt ist seit 2003 mit seinem Unternehmen Tailored Recruiting als Personalberater tätig und besetze seitdem erfolgreich Fach- und Führungskräfte für verschiedene Branchen.
Herr Schmidt, wie können kleinere Unternehmen erfolgreich Kandidaten finden, wenn sie keine eigenen Recruiting-Ressoucen haben?
Kleine Betriebe ohne eigene HR-Ressourcen haben es tendenziell schwerer, Personal zu finden; was sie jedoch tun können, ist, ihre lokale Präsenz auszuspielen, Interesse mit findigen Employer-Branding-Maßnahmen in ihrer Region zu wecken und fachliche Netzwerke von Verbänden und Plattformen o. ä. zu nutzen. Es ist manchmal auch durchaus sinnvoll, bestimmte Einzelprojekte bei der Personalsuche an externe Recruiting- oder Active Sourcing-Experten zu übergeben. Die Frage ist ja nicht, wie teuer mich die Stellenbesetzung kommt, sondern, wie hoch sozusagen die Kosten sind, wenn ich die Stelle nicht besetze. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist der schrittweise Aufbau einer nachhaltigen Employer-Branding-Strategie deshalb eine sehr gute Möglichkeit, sich mit inhaltlichen Themen vom Wettbewerb abzuheben, so Bekanntheit aufzubauen und bei der potenziellen Zielgruppe Interesse zu wecken.
Den ersten Teil unseres Interviews lesen Sie hier.
Welche Employer Branding-Beispiele aus Ihrer Praxis haben zu Recruiting-Erfolgen geführt?
Ein gutes Beispiel hierfür ist eine aus Österreich stammende Agentur, die in Deutschland engagiert ist. Sie hat eine Art Kamingespräch ins Leben gerufen, zu dem sie 3-4 mal pro Jahr exklusiv ca. 6-12 Teilnehmer einlädt. Jeder Abend steht unter einem speziellen Thema, das durch einen Experten aus Industrie und Wirtschaft verbunden mit einer bestimmten Fragestellung vorgestellt wird. Klar hierbei ist für alle, dass es sich ausdrücklich um KEIN Recruiting Event handelt. Die Teilnehmer werden zunächst in einem Prozess identifiziert und via Active Sourcing persönlich eingeladen. Wichtig ist, dass die Inhalte auf allen beteiligten Kanälen wie Website, Landing Page, Einladung und Business Netzwerke wie aus einem Guss erscheinen und vom Wording passen. So kann professionelles Employer Branding die Angesprochenen überzeugen. Bei den Teilnehmenden stößt diese Art Event auf positive Resonanz und wir konnten so einerseits das Netzwerk der Agentur vergrößern, andererseits Diskussionen zu Themen anstoßen, die für alle, auch den Experten, bereichernd sind. Und letztlich bringt es der Agentur einen riesigen Imagegewinn. So wächst der Talent Pool von Mal zu Mal… Zu den TeilnehmerInnen besteht regelmäßiger Kontakt und wer weiß, welche Verbindungen sich zukünftig daraus ergeben.
Inwiefern haben sich BewerberInnen verändert und was bedeutet dies für das Recruiting und für einen Mittelständler?
Geschwindigkeit ist das Zauberwort – das Leben hat sich auf allen Ebenen beschleunigt. Die jüngeren, insbesondere die Y- und Z-Generationen, erwarten JETZT eine Antwort und nicht erst in 3 Wochen, nachdem eine Entscheidung erst 4 Hierarchiestufen überwinden musste. Sie wollen keine „massentauglichen“ oder nichtssagende Mails erhalten und merken sehr schnell, wenn die Ansprache individuell, persönlich und auf Augenhöhe ist. Sich intensiv mit ihrem Profil auseinandergesetzt zu haben, empfinden sie als Ausdruck der Wertschätzung und reagieren dann meistens auch auf die Ansprache.
Der Anspruch an ihre eigene Karriere hat sich ebenfalls verändert: Sie erwarten mehr sinnstiftende Tätigkeiten bei projektbezogener Teamarbeit, legen Wert auf Möglichkeiten von New Work und Home-Office, bevorzugen flexible Arbeitszeitmodelle, die ihnen ein Leben NEBEN der Arbeit ermöglichen. Einen PKW als Statussymbol benötigen sie nicht, dafür erachten sie ein Unternehmen dann als attraktiv, wenn es sich sozial engagiert oder ökologisch nachhaltig produziert. Sie treten selbstbewusst auf, dabei sind ihre Zusagen allerdings häufig unverbindlich; sie halten sich alle Optionen offen, treten fordernd und anspruchsvoll auf. Zurzeit können sie sich das leisten und das wird vermutlich noch ein Weilchen andauern…
Wie können Unternehmen denn darauf konkret reagieren?
Es wird Unternehmen nichts anderes übrigbleiben als umzudenken – denn sie sitzen, was ihre Ressourcensituation betrifft, für die nächsten Jahre am kürzeren Hebel. Und das bedeutet konkret „let’s face it“ – mit Investitionen in schnellere Prozesse, auch in die Ausbildung neuer und Weiterbildung vorhandene r Arbeitskräfte; Employer-Branding-Maßnahmen, die Sie als Arbeitgeber attraktiv machen; das Thema Diversity anzugehen, sich für WiedereinsteigerInnen, moderne Arbeitszeitmodelle (Job Sharing usw.), internationale Fachkräfte u. v. m. zu öffnen. Um die neue Bewerbergeneration zu adressieren, bedarf es neben der Kommunikation auf Augenhöhe auch einer Anpassung der internen Arbeitsprozesse und -struktur; insgesamt ist es wichtig, flexibler zu werden. Nicht außer Acht lassen sollten Unternehmen den Schatz, über den Sie bereits verfügen: die Beschäftigten. Beim sogenannten Employee Branding sorgt die Unternehmensführung mit verschiedenen Maßnahmen für eine hohe Zufriedenheit bei der Belegschaft. So schafft man Mitarbeiterbindung und Identifikation mit dem Unternehmen. Das Wissen bleibt im Unternehmen. Je zufriedener das Team, desto geringer die Fluktuation; je weniger offene Stellen zu besetzen sind, desto weniger wird das Recruiting-Budget belastet.
Kann der Einsatz von Künstlicher Intelligent (KI) das Problem des Personalmangels lösen?
Nein, künstliche Intelligenz ist nicht das Allheilmittel für Personalmangel. Allerdings werden Algorithmen immer wichtiger und zukünftig sicher mehr Aufgaben übernehmen, die noch von uns getätigt werden. Bislang setzt nur ca. ein Drittel der Unternehmen in Deutschland Bewerbersoftware ein, um Recruitingprozesse abzubilden, zu beschleunigen und DSGVO-und AGG-konform zu gestalten. Algorithmen sind schneller als wir Menschen, keine Frage, und helfen zum Beispiel bei der automatisierten Bearbeitung von elektronischen Bewerbungen oder bei der Recherche nach Kandidatenprofilen in Datenbanken. Die USA sind Vorreiter und setzen sogar Bots bei telefonischen Erstinterviews ein. Neben den Inhalten können diese die emotionale Komponente aus der Stimme des Interviewten auswerten. Früher wurde bspw. die Eignungsdiagnostik selektiv nur für ausgewählte Management-Positionen angewendet – heute setzt man sie auch für einfache Positionen ein.
Folgende Frage stellt sich allerdings immer: In welchem Maße sind die Programme valide und selbstlernend? Dass wir uns mehr mit Digitalem abfinden werden müssen, ist unbestritten; spannend bleibt, welche Rolle wir als Menschen einnehmen oder uns nehmen lassen und wo die Grenzen für „Mensch & Maschine“ verlaufen werden. Den letzten Meter bestimmt derzeit zum Glück immer noch der Mensch…
Abschließende Frage: Wie sieht Ihrer Meinung nach das Recruiting in 5-10 Jahren aus? Und worauf müssen wir uns als suchende Unternehmen einstellen?
Ich will nicht schwarzmalen, aber Fakt ist erstens, dass ein Großteil der Prozesse bei der Stellenbesetzung automatisiert und digitalisiert sein wird. Interviews mit Menschen aus Fleisch & Blut wird es nur für ausgewählte Positionen geben. Zweitens wird es, allein schon aus Gründen der Demografie und trotz aller politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten, weiterhin einen Bewerbermarkt geben. Das bedeutet drittens, dass die Personalsuche schwierig bleiben wird. Bedeutet, dass Recruiting den Stellenwert bekommen muss, den es verdient. Für Arbeitgeber heißt es viertens, sich als Marke durch Employer Branding crossmedial bekannt zu machen mit neuen und kreativen Wegen, um mit den Zielgruppen in Kontakt und Interaktion zu treten.
Ausschlaggebend für den Recruitingerfolg ist dann, wie es Unternehmen gelingt, ihre Ansprache an die jeweiligen Zielgruppen anzupassen.
Trotz aller Widrigkeiten bedingt durch Arbeitsmarkt, fortschreitender Digitalisierung und politischer Unsicherheit, besteht die wirtschaftliche Notwendigkeit, weiterhin Personal finden zu müssen. Ein Umbruch innerhalb der Unternehmen ist unausweichlich. Doch wir können dem etwas Positives abgewinnen: Den Unternehmen winkt die Option, „zurück auf Los zu gehen“! Die EntscheiderInnen müssen sich nur trauen… Im besten Falle führt der Wandel dazu, dass sich Unternehmen mit ihrem Team „neu“ (er)finden sowie Visionen und Werte erarbeiten; sie definieren, wofür sie als Arbeitgeber stehen und wofür nicht; sie schärfen ihr Unternehmensprofil insgesamt und können die Kommunikation nach innen und außen überarbeiten; sie lernen, das Potenzial von Social Media richtig auszuschöpfen, indem Sie ihre MitarbeiterInnen für geeignete Projekte aktiv einbinden; verschiedene Prioritäten werden überarbeitet u. v. m. Kurz: Unternehmen werden, anstatt sich wund zu liegen, als doppelt „Geheilte“ munter auf die Beinen kommen und durchstarten können: Zum einen sichern sie sich ihre wirtschaftliche Situation; zum anderen werden sie als Arbeitgeber deutlich attraktiver, sowohl für die vorhandenen als auch für die potenziellen Beschäftigten.
Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!
Mehr Informationen zu Herrn Schmidt und seinem Unternehmen erhalten Sie hier.