Anne M. Schueller ● 24.6.2019
Der Personaler von heute: vom Verwalter zum Verkäufer
Der demografische Wandel, der Glashauseffekt des Social Web und der Kampf um die Besten halten für Personaler neue Anforderungen parat: Sie müssen das Verkaufen lernen. Denn sie befinden sich mitten in einem gigantischen Arbeitgeber-Attraktivitätswettbewerb. Also gilt: Bewerber sind Kunden, und so sollten sie auch behandelt werden.
Die „Macht“ hat sich von der Anbieter- auf die Nachfrageseite verlagert. Das bedeutet: Heute bewerben sich die Arbeitgeber bei den aussichtsreichsten Kandidaten – und nicht länger umgekehrt. Vor allem die Young Professionals haben meist mehrere Angebote in petto und halten sich Optionen bis zum letzten Moment offen. Besonders gefragte Talente sondieren schon gar nicht mehr selbst, sie lassen sich finden.
Routineaufgaben werden zusehends automatisiert. Und der Wissenszuwachs beschleunigt sich exponentiell. Vorhandenes Wissen wird rasend schnell obsolet. Unternehmen können in diesem Kontext nur dann erfolgreich sein, wenn sie den Intellekt, die Kreativität und die volle Schaffenskraft von Toptalenten für sich gewinnen. So müssen Vakanzen kunstfertig verkauft und Bewerber wie Kunden angesprochen werden, damit sie sich tatsächlich umworben fühlen.
Candidate Centricity ist das Schlagwort dafür. Hierbei steht nicht das Unternehmen, sondern der Bewerber und seine Belange im Mittelpunkt.
Dies ist ein Perspektivenwechsel im Recruiting-Prozess. Dabei ist das Entwickeln von Candidate Journeys, Candidate Personas und Onboarding Journeys sehr von Nutzen.
Das Feedback der Millennials: auch im Recruiting elementar
Arbeitgeber-Attraktivität lässt sich mithilfe der Social-Media-affinen Millennials ganz gezielt steuern. Es ist ja ein selbstverständlicher Teil ihrer Lebenswelt, Meinungen, Hinweise und Ratschläge auf passenden Websites zu teilen. Zudem lässt sich die junge Generation bei der Entscheidungsfindung von Ihresgleichen leiten. Deshalb müssen die Arbeitgeber genau dort präsent sein und positiv in Erscheinung treten, wo die Young Professionals suchen. Nur die Millennials selbst können Ihnen ganz genau sagen, an welchen digitalen „Wasserlöchern“ sie sich gerade tummeln. Und sie können Ihnen zum Beispiel auch zeigen, wie und wo sie sich jeweils mit Informationen versorgen – und was ihnen dabei zusagt oder missfällt.
So ist es ratsam, die junge Generation beratend und coachend einzubinden, wenn es um den Recruiting-Prozess, einen gelungenen Start in das Arbeitsverhältnis und das Gestalten eines passenden Arbeitsumfeldes geht. Ein paar sehr ergiebige Fragen dabei sind zum Beispiel diese: „Wenn Sie hier HR-Chef wären, was würden Sie als erstes verändern? Was müsste schleunigst weg? Und was bräuchten wir dringendst?“
Die Bewerber von heute sind um einiges selbstsicherer als frühere Jobanwärter. Sie wissen genau, was sie wollen und was nicht. Und sie sind wenig kompromissbereit. „Was tut das Unternehmen für mich?“, ist für sie eine wichtige Frage. Sie haben genaue Vorstellungen von der Qualität eines Arbeitsplatzes, fordern Gestaltungsmöglichkeiten von Anfang an und zeigen Selbstbewusstsein bei der Vermarktung ihrer Qualitäten. Augenhöhe ist für sie ganz normal. Langjährige Personaler empfinden das oft als unangebracht überheblich. Doch wer immer noch glaubt, dass sich Job-Aspiranten, so wie früher, unterwürfig zeigen sollen, ist auf dem Holzweg. Talentierte Millennials sind in der privilegierten Situation, Forderungen stellen zu können, und das wissen sie auch.
„Uns Millennials geht es nicht um Dominanz oder um das Umdrehen der Machtstrukturen zu unseren Gunsten. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die auf Selbstbestimmung basieren, um Arbeit zu tun, die wir für bedeutungsvoll halten“, schreibt Alex T. Steffen, Jahrgang 1990, in „Fit für die Next Economy“, ein Buch, in dem Sie viel Profundes zum Thema lesen können.
Employee Experience: Es muss drinnen im Unternehmen stimmen
Unternehmen, die die Zukunft erreichen wollen, stehen zunehmend auch vor der herausfordernden Aufgabe, ausscheidende altehrwürdige Mitarbeiter durch neue junge Talente zu ersetzen. Doch jede noch so perfekte Recruiting-Kampagne wird scheitern, wenn es drinnen im Unternehmen nicht stimmt. „Die Anforderungen, die Ihr an uns junge Leute stellt, sind ganz enorm: ein abgeschlossenes Studium, beste Noten, Auslandserfahrung, ein breites Wissen, Kreativpotenzial. Sind wir dann bei Euch, werden wir als erstes zurechtgestutzt und sollen uns an haarklein vorgeschriebene Abläufe halten.“ Auch das erzählt Alex T. Steffen.
Damit also das Recruiting wirklich klappt, müssen Organisationen viel mehr dafür tun, dass die internen Zustände tatsächlich halten, wie man dem Kandidatennachschub in Employer-Branding-Broschüren verspricht. Dies ist aus zwei Gründen fundamental:
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Erstens: Falsche Versprechen werden zügig entlarvt. Und die, die sich haben anlocken lassen, fackeln nicht lange und sind gleich beim ersten Augenschein wieder weg. So beginnt dann ein neuer, teurer Recruiting-Prozess ganz von vorn.
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Zweitens: Wenn Sie wollen, dass Ihre Mitarbeiter als Fürsprecher für Ihr Unternehmen fungieren und so zu Mitrekrutierern werden, ist sicherzustellen, dass die Leute tollen Gesprächsstoff haben, den sie gerne mit ihren Netzwerken teilen.
Denn veränderungswillige Aspiranten werden immer öfter zunächst die O-Töne der Mitarbeiter im Web ansteuern, bevor sie eine Kontaktaufnahme in Betracht ziehen. Google nennt solche O-Töne Dritter die „Zero Moments of Truth“ (ZMOT). Dies sind die „Momente der Wahrheit“ vor dem ersten direkten Kontakt, die schonungslos offenbaren, was die Versprechen eines Arbeitgebers tatsächlich taugen.