Nicole Thurn ● 26.6.2019
Kreativität: Neun Hacks für kribbelnde Synapsen im Kopf
Alle Unternehmen wollen kreative Mitarbeiter. In den Innovations- und Designabteilungen, aber auch in der Wissensarbeit. Nur: der Appell „Sei doch mal kreativ und innovativ“ lässt uns selten zu geistigen Ergüssen kommen. Wir geben neun Tipps, wie die Ideen sprudeln werden!
Wir können maximal noch einen Schüttelreim mit dem Wörtchen „Denkblockade“ machen. Dass die Mitarbeiter plötzlich kreativ sein sollen, ist vor allem einer Sache geschuldet: dem allgegenwärtigen Effizienz- und Innovationsdruck. Es muss schneller, besser, origineller werden, mehr an der Zielgruppe, die bahnbrechenden Ideen sollen nicht nur richtig knallen, sondern auch die Mitbewerber aus den Latschen katapultieren. Soviel zum Wunsch diverser Arbeitgeber. Doch zurück zum Ursprung.
Was bedeutet Kreativität überhaupt? Vieles. Nicht in vorgelenkten Bahnen zu denken, um die Ecke und Out-of-the-Box-Denken.
Es bedeutet üblicherweise auch, schreiben, musizieren, singen, tanzen, malen zu können. Also alles, was nicht Routine und nicht Analytik ist. Im beruflichen Kontext: richtig gute Ideen zu haben, auf die nicht jeder kommt. Dinge miteinander zu verknüpfen und Neues zu erfinden. Und grundsätzlich bedeutet sie: schöpferisch zu sein. Etwas zu erschaffen, was zuvor nicht vorhanden war.
Die folgenden Tipps habe ich für Mitarbeiter und Führungskräfte zusammengetragen. Am besten ist es, wie so oft, bei sich selber anzufangen:
1. Befreien Sie das Genie aus der Bottle:
Kreativität ist nur etwas für Genies, so lautet die gängige Meinung in unseren Breitengraden. Neuerdings stemmt sich diesem hartnäckigen Glaubenssatz ein angloamerikanisches „Just be creative“ a la „Jeder kann kreativ sein – mit der richtigen Technik“ entgegen. Klar ist: es gibt wenige Genies. Sehr wenige. Und es gibt kreativere und nicht so kreative Gehirne. Solche, die weniger blockiert sind von Glaubenssätzen, von Zwängen und Sollens und Müssens und solche, die mehr davon haben. Den einen fallen Ideen zu, die anderen sind eher die strukturierten Listenschreiber. Und: es gibt sehr, sehr viele Menschen, die glauben, dass sie einfach nicht kreativ sein können. Und vor allem, die Scham und Verlegenheit empfinden, wenn sie Ideen liefern sollen (das zeigt IDEO-CEO Tim Brown anschaulich in seinem TED-Talk).
Viele fühlen sich den Erwartungen nicht gewachsen, weil sie weder von der Muse geküsst noch von Goethe gezeugt wurden. Doch jeder von uns kann tatsächlich kreativer werden als er bisher war. Und: definitiv jeder Mensch ist in irgendeiner Form schöpferisch. Sehen Sie sich Ihren Garten, Ihre Deko, Ihre Kleidung an. Mein sehr beamtischer Gründerberater – leicht untersetzt, Halbglatze, regelverliebt – ist zum Beispiel in seiner Freizeit ganz Wien zu Fuß abgegangen. Jedes einzelne Gässchen, jede Straße. Natürlich kam er nicht umhin, seine Wegaufzeichnungen ins Excel zu tippen, dennoch hat das doch etwas Kreatives. Wer kommt schon auf so eine Idee? Also befreien Sie das Genie in Ihnen – und wenn es noch so klein ist.
2. „Du musst mal“ (ein kreatives Genie sein):
Die Vorstellung übers Kreativsein in unseren Breitengraden ist ziemlich verquer: Das Genie wartet unterm Apfelbaum, betrachtet die vorbeiziehenden Wolken und bääm, kommt der geniale Geistesblitz direkt aus der Stratosphäre ins Hirn geschossen. Das kann dem Genie durchaus passieren – und nicht nur dem. Allerdings: Stehen Sie doch mal neben dem Genie mit der Stoppuhr und ätzen Sie: „Na, kommt da was? Oder doch nix? Noch immer niiix, naa?!“ Auch Goethe hätte Ihnen wahrscheinlich was gepfiffen und wär auf ein Bier gegangen, und ziemlich sicher nicht mit Ihnen. Also: Machen Sie anderen keinen Druck. Lassen Sie sich von oben, unten und seitwärts keinen Druck machen. Und setzen Sie auch sich selbst nicht unter Druck, sondern lassen Sie einfach mal los.
3. Finden Sie das Alphatier im Kopf:
Wenn das Gehirn in den sogenannten Alphazustand gelangt, können kreative Ideen frei strömen. Das funktioniert am besten, wenn wir uns von der Außenwelt abschirmen, die Augen schließen und die Gedanken ziehen lassen. Wohlgemerkt: Ziehen, nicht wieder und wieder kreisen lassen. Das ist natürlich eine Kunst und die Meister dieser Kunst beherrschen die Meditation. Dem Durchschnittserleuchteten hilft glücklicherweise schon das Dösen auf der Couch. (Immer wenn ich eine Pause vom Denken und Schreiben machen will, lege ich mich kurz zum Dösen hin und schon sprudeln die Sätze. Dann heißt es „Aus, Pause“ und muss ich mich leider wieder aufraffen und losschreiben). Also wenn Sie das Gefühl haben, gerade nichts zu machen, dann haben Sie bitte ja kein schlechtes Gewissen. Das ist die Durchlüftung, die Ihr Gehirn fürs Loslassen benötigt, damit die Ideen ins Bewusstsein auftauchen können. Merken Sie sich: Nichtstun ist Vorleistung auf hohem Niveau. Planen Sie also Pausen ein und machen Sie etwas ganz Anderes, idealerweise an der frischen Luft in den Himmel starren oder einen kurzen Spaziergang. So banal es klingt: Bewegung und Sauerstoff sind essentiell, damit Ihre Synapsen funken. Als Führungskraft lassen Sie Ihre Mitarbeiter nicht nur Pausen machen – ermutigen Sie sie dazu!
4. Schalten Sie den inneren Zensor auf lautlos:
Kreative Ideen haben keine Chance, wenn wir sie bei ihrem Entstehen schon in die Schranken weisen. Leider haben die meisten von uns gelernt, sofort zu bewerten: Menschen und Situationen ebenso wie Gedanken und Ideen, die eigenen und jene der anderen. Wir bewerten alles und jeden, ob wir wollen oder nicht. Evolutionsbiologisch gesehen war das auch überlebensnotwendig, den Säbelzahntiger in der Ferne vom Nachbarn zu unterscheiden. Heute werden wir selten im Büro erlegt. Absolut tödlich für jede Idee sind allerdings die Sager: „das geht nicht“ und „Ja, aber“. Das unterbricht und blockiert den kreativen Fluss der Gedanken. Der Ideengeber verfällt in den Rechtfertigungsmodus. Die Bewertungstiraden unseres inneren Kritikers können wir mithilfe verschiedener Methoden ausschalten: das Freewriting ist etwa sinnvoll, bevor wir ans Brainstormen und Ideenspinnen gehen.
Beim Freewriting setzen wir uns eine Dauer von etwa 15 oder 20 Minuten, in denen wir per Hand drauflos schreiben – und zwar alles, was uns in den Sinn kommt (inklusive der Gedanken wie „mir fällt nichts ein, nanana“, diverser Einkaufslisten und Granteln über die Frau von gestern Abend, die sich an der Supermarktkassa vorgedrängelt hat). Wer meint, Schreiben liegt ihm nicht: gilt nicht. Wer lieber am PC schreibt, weil es mit der Hand so anstrengend ist: geht nicht. Denn mit der Aktivierung der Haptik wird auch die Kreativregion im Gehirn aktiviert, ganz laienhaft ausgedrückt. Und was tun mit den äußeren Kritikern? Kommunizieren Sie, dass Sie erst einmal Ruhe im Karton wollen, bis alle wilden, ungehörigen und auch sinnlosen Ideen rausgelassen und gesammelt sind. Erst in den nächsten Runden bewerten Sie die Ideen auf Sinn, Machbarkeit, Kosten. Beim Ideen-Austausch im Team hilft das generelle Verbot von „Ja, aber“ und „geht nicht“. Ist auch gut für die Kaffeekasse, wenn jedes Ja,aber 20 Cent Schmerzensgeld bedeutet… Das benötigt Training und es ist einfacher, andere zu haben, die einem bewusst machen, dass man wieder ins „Ja, aber“-Muster verfallen ist. Ich spreche aus eigener Erfahrung….
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5. Üben Sie sich in Kreativ-Routine:
Das klingt nach einem Paradoxon, doch: Routine ist nicht per se schlecht. Es gibt einige berühmte Schriftsteller, die sehr beamtenhaft ans Bücherschreiben herangingen: Charles Dickens täglich von neun bis vierzehn Uhr, Thomas Mann schloss sich kompromisslos von neun bis mittags in sein Arbeitszimmer ein, Haruki Murakami schreibt nach dem Aufwachen ab vier Uhr morgens fünf Stunden. „Die Wiederholung ist eine Art Hypnose“ zitiert Bas Kast Murakami in seinem Sachbuch „Klick!“ (siehe Buchtipp unten). Ohne knallhartes Dranbleiben wären die besten Romane der Weltliteratur wohl nie geschrieben worden. Die Routine hält uns die kleinen Entscheidungen des Alltags vom Leib: Soll ich noch kurz frühstücken und einkaufen gehen oder gleich mit dem Schreiben beginnen? Doch Routine am Schreibtisch alleine ist noch kein Rezept für mehr Ideen: viele kreative Köpfe nutzen ihre Pausen, um den Kopf beim Spazieren zu lüften. Die Schriftstellerin Virginia Woolf legte als passionierte Spaziergängerin in vier bis fünf Stunden täglich diverse Kilometer zurück. Auch das gehörte zu ihrer Routine.
6. Spielen Sie mal ein bisschen:
Kinder sind stets im Moment und dabei sehr kreativ. Sie arbeiten mit dem, was sie gerade haben und stellen ständig unsere Regeln in Frage. Da fliegt das Feuerwehrauto durch die Luft und Barbie kämpft auf der Motorhaube reitend gegen den verzauberten Teddy Bär.
Das kindliche Gehirn denkt nicht in Zukunft oder Vergangenheit, und genau das ist der Schlüssel: es grübelt nicht, es erfindet.
Es geht im Spiel völlig in der Gegenwart auf. Tim Brown, CEO der Designfirma IDEO, empfiehlt spielerische Experimente für mehr Kreativität. Seine Mitarbeiter nutzen spielerische Techniken, schnipsen sogenannte Fingersprenger durch die Gegend, um auf Ideen zu kommen. Dabei hilft natürlich eine superkreative Umgebung mit bunten Wänden, rosa Flamingos, Bällebad und Rutsche wie bei Google – muss aber nicht sein. Die IDEO-Mitarbeiter nutzen vor allem auch Design Thinking – ein mittlerweile beliebter Ansatz: „Was wäre wenn“ - Gedankenspiele helfen, Brainstormings in Gang zu bringen, erst später werden die Ideen bewertet, danach Prototypen getestet und weiter adaptiert. Auch das geht spielerisch (siehe das „Design Thinking Playbook“ unten).
7. Timeboxing: Stellen Sie den Wecker:
Timeboxing wird im Design Thinking und in Meetings angewendet. Die These: in wenigen Minuten hat das Gehirn keine Zeit, ins Grübeln zu verfallen. Es schaltet auf Intuition und Fokus auf das Wesentliche. Es geht auch nicht darum, Druck zu machen, sondern fokussiert möglichst urteilsfrei Ideen zu sammeln. Wichtig: eine klare, einfache Aufgabe formulieren, die vielleicht schon ungeliebt länger liegen gelassen wurde. Also: nicht gleich die gesamte TV-Kampagne für das zuckerfreie Joghurt erfinden, sondern einen Teilaspekt wie die Szenerie („zwei Kollegen im Büro“, „der Spielplatz“). Dann wird die Zeit gestoppt, die Dauer hängt natürlich von der Art der Aufgabe ab. Allerdings: ruhig mal sportlich ausprobieren, was in zwei, fünf, zehn Minuten so in den Fluss kommt. Die Produktivität ist oft erstaunlich.
8. Nutzen Sie die Team-Intelligenz:
Forscher für kollektive Intelligenz des MIT haben in ihrer „Science“-Studie von 190 Teams durchgeführt. Jeder Teilnehmer absolvierte einen IQ-Test, danach mussten alle in den jeweiligen Teams verschiedenste analytischen und moralischen Denkaufgaben absolvieren. Das Erstaunliche: nicht die Teams mit den höchsten IQ-Trägern lösten die meisten Aufgaben. Maßgeblich waren drei Dinge: Die Anzahl der Frauen im Team, die soziale Intelligenz der Mitglieder und drittens der intensive Austausch, wie Bas Kast in seinem Buch „Und plötzlich macht es Klick!“ schreibt. Also vielleicht ein Anstoß, die Teamzusammensetzung zu überdenken und den Austausch anzuregen.
9. Geben Sie Sicherheit:
Dieser Appell ist zu guter Letzt vor allem an Führungskräfte und Teamleiter gerichtet. Erst in Sicherheit können wir uns zurücklehnen und den Gedanken freien Lauf lassen. Erst wenn wir das Gefühl haben, nicht ständig von anderen bewertet oder verurteilt zu werden, sind wir offen. Ein Raum ohne Störung mit offener, wertschätzender Kommunikation hilft dabei immer.
Buchempfehlungen:
Bas Kast: Und plötzlich macht es Klick! Das Handwerk der Kreativität oder Wie die guten Ideen in den Kopf kommen. Fischer Verlag, 2018.
Michael Lewrick: Das Design Thinking Playbook. Vahlen, 2018.