Nicole Thurn ● 13.3.2020

6 Tipps für die perfekte Lernumgebung

Selbstgesteuertes, agiles Lernen im Unternehmen ist kein Selbstläufer, sondern braucht die richtigen Bedingungen. Nur welche? Wir sprechen mit einer Expertin für Lernräume und Lernsettings.

Agiles Lernen kommt zunehmend in den Unternehmen an: Nur, wer rasch das notwendige Wissen parat hat und es mit den richtigen Leuten und Stakeholdern teilen kann, wird mit dem Tempo der Märkte mithalten. Unternehmen führen dazu Lern- und Netzwerkformate ein, bringen Menschen und ihr Know-how in Barcamps und Lernzirkeln zusammen und setzen auf selbstgesteuertes Lernen über Lernplattformen, Collaboration Apps, Podcasts und Videoinhalte. 64 Prozent der Führungskräfte in den USA und EMEA-Staaten sagen, selbstgesteuertes Lernen sei in ihrem Unternehmen bereits eine wichtige Schulungsmethode. 27 Prozent der Unternehmen wollen es einführen, wie eine Umfrage der Human Capital Media Research and Advisory Group im vergangenen Jahr ergab. Kaum ein Unternehmen kommt also an diesem Thema vorbei.

Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung hat im Vorjahr eine Studie in deutschen Klein- und Mittelbetrieben veröffentlicht. Das Fazit: E-Learning sei in Deutschland zwar in Grundzügen verbreitet, sein Potenzial aber noch lange nicht ausgeschöpft. So hätten bereits 80 Prozent der Unternehmen ihren Mitarbeitern digitale Lernmedien bereitgestellt. Fragt man genauer nach, handelt es sich vor allem um digitale Literatur wie Anleitungen im PDF-Format. Webinare, Lernplattformen, Online-Selbstlernprogramme und Lernvideos würden seltener genutzt.

Nur knapp die Hälfte der Unternehmen fühle sich laut der Studie sicher darin, digitale Lernmedien didaktisch sinnvoll einzusetzen.

Lernen ist Bestandteil der Arbeit

Wie sieht die richtige Umgebung für agiles und selbstgesteuertes Lernen mit digitalen Tools aus? Was benötigen Menschen, um gut, selbstorganisiert und vor allem freiwillig während der Arbeitszeit zu lernen? Die eine ideale Lernumgebung passend für alle gebe es nicht, weiß Elisabeth Schulze Jägle: „Das hängt sehr davon ab, was die Mitarbeiter brauchen.“ Vorherrschend seien allerdings noch Mythen in den Köpfen, die eine positive Lernkultur behindern würden: „Noch immer wird Lernen nicht als Teil von Arbeit gesehen, sondern als Teil, der uns vom Arbeiten abhält", sagt die Expertin für digitales Lernen, Agile Lerndesigns und Lernlandschaften. Das gelte für Mitarbeiter, die sich mit einem hohen Workload konfrontiert sehen ebenso wie für Führungskräfte. Dabei ist Lernen schon längst Teil der Arbeit geworden, ohne dass es uns bewusst ist. Überall wo Wissensinhalte geteilt, Informationen ausgetauscht und Ideen und Lösungen gefunden werden, findet Lernen statt. Schulze Jägle hat sich schon mit dem Lernen in Unternehmen beschäftigt, als das Internet vor rund 25 Jahren seine ersten weltumspannenden Schritte machte. Sie setzte digitale Lernangebote für Unternehmen auf, schrieb Fachkonzepte und Drehbücher für Lernvideos und beriet Konzerne zu den richtigen Lernsettings. 

 

Wir haben Elisabeth Schulze Jägle auf der Learntec 2020 zum Thema Lernumgebung und Lernsettings interviewt.

Was wir zum Lernen brauchen: Ruhe und Zeit

In ihren Workshops mit Führungskräften und Betriebsräten zum Thema Lernkultur und Lernumgebung stellt sie stets die Frage, was  jeder persönlich für erfolgreiches Lernen im Job bräuchte. „Es kommen immer dieselben zwei Dinge: Ruhe und Zeit“, sagt Elisabeth Schulze Jägle. Nicht die technischen Details sind es, die den Mitarbeitern also in erster Linie fehlen. „Wenn Ruhe und Zeit fehlen, hilft auch die beste Künstliche Intelligenz der digitalen Lernplattform nichts.“ Mitarbeiter wüssten fast immer, was sie für Arbeit und Lernen bräuchten – „nur werden sie leider nicht immer gefragt“, gibt sie zu bedenken. 

Sie berichtet von einem großen Kunden, einem Klinikum mit rund 5000 Mitarbeitern. Hier will man auf eine neue Lernkultur setzen, doch: wie soll das gehen, ohne den Schichtplan durcheinander zu wirbeln? „Ein Anästhesist kann sich nicht für eine Stunde zum digitalen Lernen zurückziehen, wenn eine OP ansteht“, sagt sie. Dennoch haben die Mitarbeiter nun vorgeschlagen, Lernräume in den jeweiligen Abteilungen zu schaffen, mit kurzen Distanzen zum Arbeitsplatz. 

Folgende Tipps empfiehlt die Lernexpertin allen Personalentwicklern und Führungskräften zur Gestaltung einer attraktiven Lernumgebung, die wiederum für eine positive Lernkultur sorgt:

1. Sehen Sie Lernen als essentielle Investition ins Unternehmen

Wer in seine Mitarbeiter investiert, investiert nachhaltig ins Unternehmen und sorgt für die Bindung von Talenten, für Innovationskraft – und damit natürlich für den Unternehmenserfolg. „Die Frage ist: wollen die Unternehmen diese Investition tatsächlich auf sich nehmen, mit allen Konsequenzen?“, fragt Elisabeth Schulze Jägle. Häufig sei man auf Kosteneffizienz und Gewinnmaximierung getrimmt – die Etablierung einer echten Lernkultur kostet aber Zeit, Geld und Energie. Betriebsräte und Geschäftsführung sind hier die wichtigsten Treiber – sie müssen an einem Strang ziehen. 

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2. Fragen Sie Ihre Mitarbeiter, was sie brauchen

„Wir müssen weg von der Monokultur. Die Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern möglichst vielfältige, bunte Lernformate anbieten, damit sie das Passende für sich heraussuchen können“, so Schulze Jägle. Bildungsstrategien seien auf dem Papier häufig gut formuliert, nur würden sie nicht immer konsequent gelebt. Die Ideen und Vorschläge der Mitarbeiter einzubeziehen hilft, Leerkilometer bei der Umsetzung zu sparen. „Darum ist es auch so wichtig, die Betriebsräte in das Thema Lernen im Unternehmen einzubeziehen.“ Beim Thema Lernen kämen häufig Stakeholder mit verschiedenen Interessen an einen Tisch. „Es ist wichtig, konstruktiv zusammenzuarbeiten und gemeinsame Lösungen zu finden“, sagt sie. Hier spielen die Betriebsräte eine zentrale Rolle. Entsprechende Betriebsvereinbarungen, Datenschutz und IT-Security gehören zur Etablierung einer Lernkultur dazu.

3. Trauen Sie Ihren Mitarbeitern das Lernen zu

Selbstbestimmt zu lernen haben die meisten im restriktiven Bildungssystem nie gelernt? Das stimme nicht ganz, sagt Elisabeth Schulze Jägle: „Heutzutage ist fast jeder ein digitaler Lerner. Die meisten Menschen ergooglen sich Wissen und teilen es online. Auch das ist Lernen.“ Je früher man alle Zielgruppen einbinde, desto besser könne man etwaige Widerstände ausräumen. „Wichtig ist, dass Führungskräfte der mittleren Ebene selbst zuerst einbezogen werden und diese Kultur dann an ihre Teams weitergeben.“ 

4. Sorgen Sie für ausreichend Raum und Zeit

Dass Mitarbeiter mit der Maxime des agilen Lernens überfordert sind, ist kein Wunder. Schließlich müssen sie sich um das Tagesgeschäft kümmern, sollen sich in digitale Tools einarbeiten, womöglich neue Arbeitsweisen und -prozesse ausprobieren und sich dann auch noch selbst weiterbilden. Das führt zwangsläufig zu Widerstand oder schlicht zur Nichtnutzung von Lernangeboten. Mitunter helfen Vorgaben wie eine Stunde Lernzeit pro Woche. „Wichtig ist, dass die Mitarbeiter nicht nur an ihrem Arbeitsplatz lernen müssen, sondern auch einen dafür vorgesehenen Raum haben, in den sie sich zurückziehen können.“ Und zwar einen liebevoll gestalteten, schönen Raum: „hell, mit Pflanzen, in dem man sich gern aufhält.“ Häufig sei Zeit der weit wichtigere Indikator. Denn der Aufbau von attraktiven Lernsettings koste meist gar nicht viel Geld, sagt die Expertin: „Dann wird aus einem hässlichen Archiv mit geringen Mitteln ein schöner Raum gestaltet. Oder Teams treffen sich zum Austausch beim Frühstück.“ Die Lösungen entstehen wiederum ganz spezifisch gemeinsam, mit Führungskräften, Betriebsräten und Mitarbeitern an einem Tisch.

5. Schaffen Sie Transparenz

„Lernen muss nicht immer Spaß machen“, sagt die Expertin. Viel wichtiger sei Klarheit über die eigenen – mitunter neuen – Aufgaben und Rollen und den damit verbundenen Lernbedarf. Führungskräfte und Personalentwickler sollten hier für Orientierung und Transparenz sorgen. „Wichtig ist, dass sich zuallererst die Führungskräfte darüber bewusst werden, was Lernen ist: nämlich das, was wir ohnehin täglich tun. Dann wird die Diskussion über Lern- und Arbeitszeiten schnell absurd.“ Darum sei es wichtig, das Lernen bei den Mitarbeitern positiv zu fördern und dranzubleiben. 

6. Reflexion mit Hilfe von Coaches

Agiles Lernen bedeutet: Lernen fürs Tun und durch das Tun. Man erprobt Gelerntes, experimentiert, wendet Lösungen an, lernt daraus und verbessert wiederum so die bisherigen Maßnahmen. Regelmäßige Reflexion des Gelernten ist wichtig. Dazu benötigt man auch bei aller Selbststeuerung im Idealfall ein Gegenüber: „das kann die Führungskraft, ein Kollege oder ein Lerncoach sein“, sagt Elisabeth Schulze Jägle. Dadurch sei es besser möglich, die eigenen Lernziele, Erkenntnisse und weitere Lösungen zu reflektieren und einordnen zu können.

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