Britta Bonten ● 2.9.2019
Recruiting: Vom Babyboomer bis Digital Native
Am Arbeitsmarkt tummeln sich vom Berufseinsteiger bis zum erfahrenen Fachexperten sämtliche Altersgruppen. Ob Wissen über die verschiedenen Generationen nützlich ist und warum dies Ihre Personalsuche beflügeln kann, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Yeah! Die (scheinbar) richtige Person für die offene Stelle eingestellt zu haben, fühlt sich oft an wie sechs Richtige – mit Zusatzzahl, wenn die Person die Probezeit übersteht und bleibt! Anders als beim Lottospiel können wir unser Recruiting zum Glück (!) beeinflussen – wenn man an den richtigen Stellschrauben dreht. Ob Wissen über die verschiedenen Generationen nützlich ist und warum dies Ihre Personalsuche beflügelt, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Digitalisierung und demografischer Wandel
Auch wenn man als Optimist das Glas gerne als halbvoll betrachtet, sind allein diese beiden Schlagworte für unseren Arbeitsmarkt einschneidend! Personal ist extrem knapp geworden. Immer weniger Arbeitskräfte stehen zur Verfügung, da die geburtenschwachen Jahrgänge der jüngeren Generationen den schrittweisen Rückzug der Älteren vom Arbeitsmarkt nicht mehr kompensieren können. Umso wichtiger wird es für die Betriebe, ihre Personalsuche erfolgreich zu gestalten, indem sie Arbeitskräfte aller verfügbaren Generationen auf sich aufmerksam machen (Employer Branding), begeistern und schließlich an Bord nehmen.
Was ist eine Generation?
In der Soziologie wird eine Generation als die Gesamtheit der Menschen definiert, die eine bestimmte gesellschaftliche Prägung in ihrer Altersgruppe hat. Durchgesetzt hat sich die Dauer einer Generation von 15 Jahren, so der Sozialverband VdK. In dieser Spanne wirken sich die Bedingungen vor allem von Technik, Wirtschaft, Kultur und Politik stark auf den Menschen aus und prägen ihn in besonderer Weise. Dementsprechend sind beispielsweise die Babyboomers durch Kriege anders geprägt als die nachfolgende Generation X.
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Unser Arbeitsmarkt: Mehr-Generationen-Herberge
Meistens tummeln sich vier bis fünf Generationen zeitgleich auf dem Arbeitsmarkt. Diese sind nicht leicht voneinander abzugrenzen, denn es gibt Streuungen innerhalb jeder Generation (Integrationsvarianz): Trotz eines bestimmten Jahrgangs kann eine Person wegen ihrer Merkmale eher einer anderen Generation zugehören. Zudem gibt es keinen verbindlichen Standard, die Generationen nach Jahrgängen einzuteilen. Ergebnis: Bei zehn befragten Experten erhält man mindestens fünf Variationen!
Versuch einer Einteilung
Das „Zauberwort“ Intergenerationsdifferenz schafft Klarheit. Sie besagt, dass sich die Durchschnittswerte von Werten, Zielen, Verhalten, Umgangsformen etc. verschiedener Generationen deutlich voneinander unterscheiden und so folgende Einteilung möglich ist:
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Traditionalisten (1922 - 1949) – Kriegszeiten
➡️ hat, wenn überhaupt, nur noch marginalen Anteil am Arbeitsmarkt
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Babyboomers (1950 - 1964) – Nachkriegsjahre und Wirtschaftswachstum
Anteil am Arbeitsmarkt: ca. 15%
➡️ wird deutlich weniger in den nächsten Jahren
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Generation X, „Gen Z“ oder „Generation Golf“ (1965 - 1980) – Wirtschaftskrise, RAF, Scheidungsrate, Feminismus
Anteil am Arbeitsmarkt: ca. 52%
➡️ dominiert den Arbeitsmarkt in Führungspositionen, nimmt mittelfristig ab
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Generation Y oder „Millenials“ oder „Ypsiloner“ (1981 - 1995) – Ölkrise, Ende des kalten Kriegs, Mauerfall, Internetboom
Anteil am Arbeitsmarkt: ca. 31%
➡️ wird noch steigen
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Generation Z oder „digital natives“ (1996 - 2010) – Neuer Markt, 09/11, internationaler Terrorismus, Finanzkrise, Tablets & Smartphones, Klimazerstörung, YouTube
Anteil am Arbeitsmarkt: ca. 2%
➡️ wird deutlich zunehmen
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Generation Alpha oder „Relaxed“ (2011 - vorauss. 2025)
➡️ ist noch nicht auf dem Arbeitsmarkt
Learning 1: Alles eine Frage der guten Vorbereitung
Vor der eigentlichen Suche lohnt es sich, konkrete Überlegungen anzustellen:
Welche Skills erfordern Aufgabe und Team? Wie muss die Person ticken und auf welchen Kanälen erreichen wir sie?
Wo finden wir den BewerberInnenkreis? Nur so erfahren wir, wie wir im Recruiting agieren müssen: Erwin liest womöglich Stellenanzeigen in der Tageszeitung, Rezo liest, wenn überhaupt Tageszeitungen, ausschließlich online. Was sind ihre unterschiedlichen Werte, Einstellungen und Erwartungshaltungen? Danach richtet sich unser Recruiting: Kanal, Medium, Instrumentarium des Recruiting & Form der (An)Sprache.
Learning 2: Ansprechende Inhalte sind entscheidend
Weiterhin müssen wir wissen, was wir dem BewerberInnenkreis inhaltlich bieten können, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden! So variieren bspw. die Vorstellungen darüber, was Statussymbole sind – der Manager der Generation X besteht möglicherweise auf seinem Firmenwagen, der Juniorprojektmanager wünscht sich vielmehr flache Hierarchien, die Möglichkeit von zuhause zu arbeiten oder ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr! Diese beiden Typen brauchen völlig unterschiedliche Ansprachen und Motiviationsanreize, um optimal zu performen.
Learning 3: 75% der BewerberInnen sind nicht sichtbar
Wichtig: Nur 25% sind im Netz als Jobsuchende erkennbar – die meisten potentiellen BewerberInnen sind passiv. Das heißt sie suchen nicht aktiv, sind aber offen für Veränderungen. Problem: Diese passiven BewerberInnen werden wir nicht mit Stellenanzeigen, weder print noch online, erreichen. Wir benötigen andere Instrumente, wie Active Sourcing oder den Talentpool, um sie zu identifizieren und hinter dem Ofen hervorzulocken.
Aber bitte mit „AGG“!
Suchen wir für eine Stelle, sagen wir, jemanden um Ende 20 bis Mitte 30 (passend zu Aufgabe, Teamfit und Gehaltsstruktur), muss das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (ugs. Antidiskriminierungsgesetz) beachtet werden. Niemand darf aufgrund von „[…] Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität benachteiligt werden.“ Wenn eine Mittfünfzigerin oder ein 44-Jähriger laut Bewerbungsprofil die Aufgaben genauso erledigen kann, müssen beide im Bewerbungsverfahren berücksichtigt werden. Allerdings gibt es auch Ausnahmen laut §10 AGG, die im Einzelfall genau zu prüfen sind: „Altersbedingte Ungleichbehandlungen können gerechtfertigt sein, wenn sie objektiv angemessen sind und ein legitimes Ziel verfolgen, z.B. Mindest- oder Höchstalter für eine Einstellung, Mindestalter für die Inanspruchnahme von Ansprüchen aus betrieblichen Alterssicherungssystemen.“
Einspruch: Es gibt gar keine Generationsunterschiede!
Der Marburger Soziologe Prof. Schröder behauptet, die vielzitierten Generationen mit ihren Unterschieden seien Quatsch. Seiner Auffassung nach denkt jede junge Generation genauso wie die Generation vor bzw. nach ihr. Und Einstellungen ändere man im Laufe des Älterwerdens – das mache jede Generation durch. Die gesellschaftlichen Unterschiede lägen auch nicht im Geburtsjahr begründet, sondern vielmehr in Bildungsniveau, Geschlecht, regionaler Zugehörigkeit usw. Schröder hat über 500.000 Einzeldaten des sozio-ökonomischen Panels von 1984 bis 2018 ausgewertet. Der Wissenschaftler konnte dabei nicht erkennen, dass z. B. die Generation Y (1980 und 1990) anders denken würde als die Generation X im selben Alter. Sein Fazit: Jugendliche ticken ähnlich, egal in welcher Generation.
Mein Fazit:
Vermutlich liegt die Wahrheit, wie so oft, irgendwo dazwischen. Selbst wenn es die Generationsunterschiede nicht gibt, so sind unterschiedliche Erwartungshaltungen und Bedürfnisse potenzieller Arbeitskräfte eine Tatsache – je nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Erfahrung usw. Wenn wir diese zu Generationen zuordnen, gibt uns dies eine zumindest grobe Orientierung. Diese verschiedenen BewerberInnenkreise zu begeistern und als Neuzugänge zu gewinnen, ist eine riesige Herausforderung für die Unternehmen. Angesichts der veränderten Welt mit akutem Personalmangel, wie eingangs skizziert, wird die sorgfältige Überlegung, wer genau gesucht wird und wie sie am besten gefunden werden, zwingend. Ansonsten kann man genauso gut Lotto spielen…