Britta Bonten ● 22.10.2019
Typische Fehler im Recruiting
Im Bewerbungsprozess kann so einiges falsch laufen – vor allem auf Unternehmensseite. Welche No-Gos können Sie als Recruiter oder HR-Verantwortlicher vermeiden?
Was können Unternehmen nicht alles anstellen, um doch ein paar Exemplare der Spezies „BewerberInnen“ zu Gesicht oder zu Gehör zu bekommen? Es gibt zig Ratgeber, Podcasts, Whitepaper, Blogs oder Tipps zum Thema „Wie Sie Personal finden“ – selbst für Dauer-Leseratten viel zu viel. Wir zäumen das Pferd von hinten auf und nennen typische Gründe, weshalb Sie eventuell kein Personal finden! Was nach dem Erstkontakt im Recruitingprozess oft schieflaufen kann, skizzieren wir in überspitzter Form – und ohne Anspruch auf Vollständigkeit… Mehr ließe sich im weiteren Recruitingprozess bestimmt finden.
Folgendes fiktives Ausgangsszenario: Ich (m/w/d) habe mich elektronisch beim Unternehmen KleFiR für die Stelle XYZ per E-Mail beworben. Die Stellenanzeige habe ich einer Jobbörse entnommen.
Funkstille nach Bewerbung
Nach der abgeschickten E-Mail höre ich erst mal: NICHTS! Um auf Nummer sicher zu gehen, schaue ich in meine „gesendeten Objekte“. Ich bin erleichtert, die Bewerbung ging an die korrekte Email-Adresse. Zu groß ist der Anhang auch nicht, sollte eigentlich alles stimmen! Stunden später wachsen erneut Zweifel in mir: War ich zu spät dran oder ist die Stelle bereits besetzt? Ein ungutes Bauchgefühl macht sich breit, aber der Kopf wehrt sich. Wer weiß – ist bestimmt gerade viel los bei KleFiR. Urlaubszeit. Grippewelle.
Kollege Algorithmus
Noch bevor ich einige Tage später bei KleFiR anrufen kann, um nachzuhaken, kommt mir eine E-Mail zuvor: eine elektronische Eingangsbestätigung. Immerhin, meine Bewerbung ist tatsächlich und scheinbar richtig angekommen! „Ist ja kein Problem, schließlich sitzt da keine Person mehr und schreibt die Briefe, stattdessen Bewerbersoftware und automatisierte Prozesse und die können nicht persönlich sein“, denke ich mir als ich die maschinell erstellte Mail ohne Unterschrift überfliege. Der übrige Text klingt Din-genormt und unpersönlich.
Fehler und falsche Versprechungen
Bei genauem Lesen sehe ich, dass mein Name falsch geschrieben ist und auch noch ein paar andere kleine Fehler enthalten sind. Kann passieren. Vielleicht war der Algorithmus schlecht drauf oder einfach schlecht gecoacht? Jedenfalls heißt es im Brief: „…wir melden uns sobald wie möglich bei Ihnen…“! Wann genau? Wollen sie etwa meine Geduld auf die Probe stellen? Ich begnüge mich mit dem Brief, denn meine Bewerbung scheint weiter bearbeitet zu werden. Derweil trinke ich viel Tee…
Fehlende Verantwortlichkeiten
Ein paar Wochen ziehen ins Land, ich höre nichts. Ein Anflug von Verärgerung drängt mich zum Telefon. Ich erreiche eine nette Praktikantin in der Personalabteilung. Andere Ansprechpartner sind gerade nicht erreichbar. Sie kann mir lediglich sagen, dass meine Bewerbung in Bearbeitung ist. Wer genau für meine Bewerbung verantwortlich ist, erfahre ich nicht.
Fehlendes Image - noch nie von Employer Branding gehört?
Das enttäuschende Telefonat lässt meine Halsschlagader anschwellen – jetzt will ich wissen, wer genau für mich zuständig ist. Dazu schaue ich nochmals auf die Unternehmens-Website, der ich nichts Neues entnehmen kann. Keine Namen, nur ein info@klefir-Postfach und die Telefonnummer, die ich schon kenne. Trotz intensiver Suche finde ich keinen aktuellen Post in den bekannten sozialen Medien. Nur den mir schon bekannten Eintrag auf dem deutschen Businessportal mit Verlinkung auf die Unternehmens-Website. Seit meiner Kurz-Recherche vor der Bewerbung hat sich also nichts bewegt. Auch bei den Arbeitgeberportalen ist von KleFiR immer noch nichts zu lesen. Existiert das Unternehmen überhaupt?
Wenn sich Stellenprofile kurzfristig ändern
Innerlich habe ich KleFiR fast abgeschrieben, als mich Tage später eine KleFiR-Stimme anruft und mir ein telefonisches Interview anbietet. Schau an! Nachdem der erste Termin seitens HR verschoben werden musste, kommt es doch noch zum Telefonat, was nach Schema F verläuft. Wie sich durch mein Nachfragen am Ende allerdings herausstellt, gibt es die Stelle gar nicht mehr in der ursprünglichen Form; aufgrund einer Restrukturierung und der personellen Ressourcenlage, wird die Stelle laut Gesprächspartner „bereichert um Inhalte aus einem anderen Teilbereich“ – bei gleicher Entlohnung. Mehr Aufgaben und Verantwortung für dasselbe Geld? Mathe scheint nicht deren Stärke zu sein. Dass ich mit meinen Erfahrungen nicht mehr auf das neue Anforderungsprofil passe, scheint völlig nebensächlich zu sein. Man wolle sich dann wieder bei mir in ca. 14 Tagen melden, ob und wie es für mich bei KleFiR weitergehe…
Plötzliches Ende
Gut geschlafen ziehe ich am nächsten Morgen bei KleFiR meine Bewerbung zurück. Per E-Mail – sie bleibt unbeantwortet. Mittlerweile habe ich andere Stellen in Aussicht. Zu zwei Interviews wurde ich ratzfatz eingeladen. Und mit einem anderen Betrieb bin ich über einen Social Media-Post ins Gespräch gekommen. Sofortiges Feedback, kurzer Austausch, nette persönliche Atmosphäre – zack! Schon freuten sie sich auf meine Unterlagen.
Warum hat KleFiR die Sache verbockt? Weder Wertschätzung noch verlässliche Aussagen, fehlende Verantwortlichkeiten und mangelnde Professionalität in der Kommunikation; die Hinhaltetaktik, Entscheidungen in SloMo sowie die Überrumpelung bezüglich des geänderten Stellenprofils sprechen gegen das Unternehmen. Vom möglichen Imageverlust sprechen wir mal gar nicht…
Anm: KleFiR steht für „Kleine Fehler im Recruiting“!
Fazit
Das Gute an diesem Szenario: Alle diese Fehler sind vermeidbar! Nur wie? Dazu kann man die Wurzel allen Übels packen und Haltung und Umgang im Unternehmen bestehend aus zwei Facetten überprüfen:
a) gegenüber potenziellen Bewerbenden
und
b) gegenüber dem Recruitingteam.
Dass Unternehmen es sich leisten können, BewerberInnen von oben herab zu behandeln oder gar zu ignorieren, sollte vorbei sein. Sie sind keine Bittsteller mehr. Schließlich ist die Zahl freier Stellen so gewaltig, dass Jobsuchende die freie Auswahl haben. Ratsam ist eine Kommunikation auf Augenhöhe, Wertschätzung, Respekt, Schnelligkeit usw. Und um erfolgreich gute Leute zu finden, braucht man selber auch gute Leute.
Investieren Sie in gutes Personal, geben Sie Ihrem Recruiting den Stellenwert, den es verdient!
Will heißen genügend Ressourcen und finanzielle Mittel! Spätestens, wenn Sie einen Blick auf die Summe werfen, die Ihre nichtbesetzten Stellen Sie wöchentlich kosten, werden Sie das Thema Recruiting auf der Prio-Liste weiter nach oben schieben oder ganz neu ausrichten!
Extra-Tipp: Bewerben Sie sich doch einfach mal in Ihrem Unternehmen – unter einem Pseudonym; oder bitten Sie eine loyale Person im Unternehmen außerhalb der Personalabteilung darum! Dann durchlaufen Sie mit anderen Augen den eigenen Recruitingprozess! Perspektivwechsel oder andere Blickwinkel können helfen, systemische Schwächen aufzudecken, diese zu vermeiden und so Ihr Recruiting und die Personalsituation zu stärken.