Lars-Peter Linke ● 17.2.2020

Mythos Lerntypen: Erfahren Sie, was wirklich motiviert

Die Vorstellung unterschiedlicher Lerntypen ist weit verbreitet – und leider falsch. Entscheidend ist, was jeden Einzelnen zum Lernen motiviert. Was das ist und warum wir im Zeitalter von neuen Lernformaten umdenken müssen.

Seminare, Workshops, E-Learning… Je vielfältiger und bunter die Angebote für betriebliches Lernen werden, umso größer wird der Wunsch, einzelne Lernangebote auf Vorlieben und Lerngewohnheiten des jeweiligen Mitarbeiters abzustimmen. Am besten, so die gängige Vorstellung, ist ein Angebot, wenn es verschiedene Lerntypen anspricht. Die Vorstellung unterschiedlicher Lerntypen ist ebenso beliebt wie verbreitet – und leider falsch. Deshalb sind alle, die Lernangebote vermarkten und auf Zielgruppen zuschneiden wollen, besser beraten, wenn sie mehr auf die Grundbedürfnisse des Menschen schauen: darauf, was jeden Einzelnen motiviert, an einem Seminar teilzunehmen oder ein E-Learning-Programm zu absolvieren.

Abschied von den Lerntypen

Lange Zeit haben sich Didaktiker, Trainer und Coachs auf die Lerntypentheorie des deutschen Systemforschers Frederic Vester (1925-2003) bezogen. Vester ging davon aus, dass Menschen Wissen auf unterschiedliche Weise und durch unterschiedliche Kanäle aufnehmen: Der eine lernt besser mit den Augen, der andere besser mit den Ohren. Dementsprechend unterschied Vester zwischen den visuellen, auditiven, haptischen und intellektuellen Lerntypen:

  • Visueller Lerntyp: lernt am besten Inhalte, die er über das Auge aufnimmt: Bilder, Grafiken, Filme

  • Auditiver Lerntyp: lernt am besten über das Ohr: Podcasts, Vorträge, Hörspiele

  • Haptischer Lerntyp: lernt am besten, wenn er die zu lernenden Informationen fühlen kann

  • Intellektueller Lerntyp: Versteht und speichert Informationen, indem er sie analysiert und kritisch darüber nachdenkt

So eingängig und praktikabel diese Lern-Typologie auch sein mag – es wird Zeit, sich von ihr zu verabschieden.

Sicher, sie hat seit den 80er Jahren nicht nur Initiativen zur Belebung des Unterrichts in der Schule geprägt, sondern auch viele Ansätze für moderne Seminare und Trainings. Doch die Typologie ist zwar einfach, aber auch unlogisch. Zum Beispiel lässt sich der vierte Lerntyp nicht klar von den anderen Typen absetzen. Wer ein Problem oder einen Lernstoff inhaltlich verarbeiten möchte, muss ihn zuvor irgendwie aufgenommen haben – entweder mit den Augen oder mit anderen Sinnesorganen. Überhaupt bleibt unklar, ob die Typologien nur den Akt der Informationsaufnahme und -speicherung beschreiben, oder vielmehr seine Durchdringung und Aneignung abbilden.

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Pädagogik und Lernpsychologie haben sich mehr und mehr von den Lerntypen nach Vester verabschiedet. Das fällt umso leichter, weil zur logischen Inkonsistenz des Ansatzes auch der Makel fehlender wissenschaftlicher Evidenz hinzukommt. Weder der Kognitionswissenschaft noch der Psychologie oder Neurowissenschaft ist es gelungen, statistische Evidenz für die Unterscheidung der Lerntypen zu ermitteln. Die Vorstellung von auditiven, visuellen und haptischen Lerntypen ist ebenso überholt wie die lange Zeit so beliebte Vorstellung, dass Menschen überwiegend mit der linken oder rechten Hirnhälfte denken, es also ,rechts-hirnige‘ und ,links-hirnige‘ Lerner gibt.

Maximen für gutes Lernen: ganzheitlich, handlungsorientiert und mit allen Sinnen

Weil sich die Lerntypen weder klar belegen noch klar abgrenzen lassen, folgen viele Lerntheoretiker, die sich auf Vesters Ansatz beziehen, lieber dem Motto, dass das Lernen am besten „mit allen Sinnen“, ganzheitlich und handlungsorientiert erfolgen solle. Ein sinnvoller Vorsatz, der umso schwerer umzusetzen ist, je mehr die Lerntechnologie den Spielraum zur Vermittlung einengt.

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Was motiviert zum Lernen? Autonomie, Kompetenzerleben und Gesellschaft

Sinnvoller als die Orientierung an Lerntypen ist die Frage, was jeden Einzelnen zum Lernen – zum Beispiel zur Teilnahme an einem Online- oder Offline-Seminar – motivieren kann. Hier bietet die „Selbstbestimmungstheorie der Motivation“ der US-Amerikaner Richard M. Ryan und Edward L. Deci von der Universität von Rochester (USA) gute Impulse. Deci und Ryan gehen davon aus, dass die Motivation zum Lernen immer vom Grad der Erfüllung von drei psychologischen Grundbedürfnissen bestimmt wird:

  • dem Bedürfnis nach Kompetenz,

  • dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit und

  • dem Bedürfnis nach Autonomie (Selbstbestimmung)

Es lohnt sich, bei der Konzeption von Trainingseinheiten und E-Learning-Angeboten die inneren Antreiber der potenziellen Lerner zu berücksichtigen:

  • Lerner mit dem Bedürfnis nach Kompetenz… …möchten sich beweisen, messen und ihre Lernergebnisse dokumentieren und nutzen können.

  • Lerner mit dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit… …lernen bevorzugt in Gemeinschaft und möchten gerne andere Menschen kennenlernen.

  • Lerner mit dem Bedürfnis nach Autonomie… …wollen das Gefühl besitzen, dass sie sich ein Wissensgebiet selbst erschließen, Lernstoff nach eigenem Ermessen aneignen und den Lernprozess selbst steuern können.

Die drei Grundbedürfnisse Kompetenz, soziale Eingebundenheit und Autonomie schließen sich nicht aus. Sie können sich sogar gegenseitig verstärken. Umso hilfreicher ist ein Blick auf diese Lernbedürfnisse, wenn es darum geht, neue Lerneinheiten zu entwickeln, anzupassen und zu bewerben: Je mehr die angesprochenen Lerner ihre Grundbedürfnisse erfüllt sehen, desto einfacher fällt es ihnen, sich für das Lernen zu motivieren.

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