Wir alle wollen uns weiterbilden: beruflich und privat. Die Grenze verschwimmt im Digitalzeitalter sowieso. Doch damit neues Wissen auch langfristig im Gehirn gespeichert wird, müssen wir das Lernen erst wieder lernen.
Sie kennen das bestimmt: Sie besuchen eine Weiterbildungsveranstaltung, einen Workshop oder einen Lehrgang. Alles spannend, alles gut. Wenige Tage oder Wochen später beschleicht Sie das Gefühl: das frisch erworbene Wissen ist verdampft, im Joballtag ist nur ein Bruchteil in der Umsetzung angekommen. Das mag am Inhalt des Gelernten liegen oder aber auch daran, wie es Ihnen vermittelt wurde und wie Sie mit den neuen Informationen umgegangen sind. Die Neurowissenschaft beschäftigt sich in den vergangenen Jahren zunehmend damit, wie der Mensch am besten lernt – und was ihn vom Lernen abhält.
Unser Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen. Jede von ihnen hat hundert bis tausend Synapsen, mit denen sie mit anderen Nervenzellen verbunden ist. In jeder Sekunde strömen viele Billiarden Impulse durch die Synapsen. Unser Denken, unser Fühlen und unser Tun werden so gesteuert. Und: unser Gehirn baut seine Synapsen unaufhörlich um und aus. Erregende Synapsen fördern den Informationsfluss, hemmende grenzen ihn ein, wie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie herausgefunden haben. Erst über diese Neuroplastizität wird Lernen überhaupt möglich. Ob wir etwas lernen oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab: von der Lernumgebung, den Inhalten, der Art, wie sie uns präsentiert werden, unserer Stimmung und unseren Emotionen. Lernen ist also komplexer als vielfach angenommen wird.
Der Mandelkern, die Amygdala in der Mitte des Gehirns, ist das Angstzentrum. Ist sie aktiviert, können wir nicht lernen. Angst und andere negative Emotionen blockieren also den Lernprozess.
Der Hippocampus verarbeitet Informationen, allerdings: er langweilt sich schnell. Reine Fakten, das Wiederholen von Infos, mag er nicht.
Geforscht wird viel an unserem Denkorgan. Eine einheitliche, konsistente Theorie darüber, wie unser Gehirn tatsächlich funktioniert, gibt es allerdings nicht. Auch die Lerntypen-Theorien, von denen es unterschiedliche gibt (die wohl populärste Unterteilung ist in visuell, akustisch, taktil), gelten laut Hirnforschung als überholt. Laut Neurowissenschaftler Henning Beck sind wir alle in erster Linie visuelle Lerntypen, da unser Gehirn sich zu einem Drittel mit Bildverarbeitung beschäftigt, wie er in seinem Buch „Hirnrissig – die 20,5 größten Neuromythen“ beschreibt.
Sie kennen dieses Bild, das zugleich eine Vase und zwei Gesichter darstellt? Unser Gehirn entscheidet sich je nach Aktivierungsgrad bestimmter Areale für die eine oder andere Variante. Der – ebenso renommierte wie auch kritisierte – Hirnforscher Karl Friston geht davon aus, dass das Gehirn nach dem Prinzip der freien Energie funktioniert. Das Gehirn tendiert demnach dazu, innere Modelle auf äußere Gegebenheiten und Reize anzuwenden. „Das Gehirn nutzt innere Modelle, um Reize zu interpretieren, weil das energetisch weniger aufwändig ist als sie immer neu zu berechnen. Und weil so die innere Struktur des Gehirns – die Ansammlung seiner Modelle – möglichst lange konstant gehalten werden kann. Erst wenn die Sinnessysteme abweichende Daten melden, gibt das Gehirn die alte Ordnung auf und erschafft bessere Modelle“, sagte er einmal gegenüber dem Deutschlandfunk.
Die neue interaktive Art zu Lernen für die gesamte Belegschaft:
Modular. Intuitiv. Verständlich.
Auch der sogenannte dreidimensionale Lernansatz unterstreicht diese Sichtweise. Auf kognitiver, emotionaler und auf der Verhaltensebene (cognitive, affective, psychomotoric) wird das Erlernte verarbeitet. Grob kann man sagen: Je mehr Lerninhalte alle drei Ebenen mit einbeziehen, desto größer ist der Lernerfolg. Die Forscher Krathwohl und Anderson beschreiben zur kognitiven Ebene zugehörig: das Erinnern und Abrufen von Wissen, das Verstehen von Wissen im Sinne von Interpretieren und Erklären, das Anwenden und Demonstrieren von Wissen in der Praxis, das Analysieren und entsprechende Aufbereiten von Wissen, das Evaluieren und das Kreieren neuer Ansätze, Modelle oder Produkte aus dem bestehenden Wissen heraus. Affektives Lernen bedeutet: wir lernen beispielsweise über emotional berührende Geschichten besser als über reine Fakten. Wir lernen ebenfalls besser, wenn wir offen, begeistert, neugierig und motiviert bezüglich der Inhalte sind. Und wir lernen besser, wenn wir in einer guten Stimmung sind. Auch unsere Werte, Intentionen, Glaubenssätze und unsere Gefühlswelt beeinflussen den Lernerfolg entscheidend. Die dritte Ebene ist das psychomotorische Lernen. Unser Gehirn kann Informationen häufig besser speichern und kreativere Lösungen finden, wenn wir uns beim Lernen bewegen, einen Podcast beim Joggen hören oder etwa mit Lego eine Produktlösung bauen.
Auch Hirnforscher Gerald Hüther bestätigt, dass Lernen erst dann tatsächlich möglich ist, wenn wir emotional positiv getriggert werden. Erst wenn bestimmte emotionale Zentren aktiviert sind, werden Lerninhalte nachhaltig gespeichert. Am besten geschehe das durch „Begeisterung“, wie er sagt. Ein zweiter Aspekt ist die Bedeutsamkeit: erst wenn der Lerninhalt bedeutsam für mich und mein Leben ist, wird er gespeichert – alles Unbedeutsame landet im neuronalen Papierkorb. Kinder im Amazonasgebiet könnten 120 Schattierungen der Farbe „Grün“ benennen. Und:
Nicht nur das Gehirn, der gesamte Körper sei ein Lernorgan. Je mehr Sinne angesprochen werden, desto besser wird das Gelernte im Gehirn verankert.
Vom psychomotorischen Ansatz leitet sich auch das „Embodied Learning“ ab. „Embodied Learning“ geht davon aus, dass die vorherrschende Überfokussierung auf die Ratio uns von wesentlichen, auch unbewussten, Lernerfahrungen abschneidet. Zum Embodied Learning gehört der Ausdruck von Erkenntnissen und Gefühlen über den Körper, aber auch Methoden wie Rollenspiel und Impro-Theater. Es umfasst also Sinneserfahrungen sowie den Ausdruck durch Mimik und Gestik. Die Evaluierung des Projekts „Learning Science through Theatre“ einer Studentengruppe, die über ein Theaterstück wissenschaftliche Erkenntnisse erfahrbar gemacht hat, zeigt: Kreativität, Kollaboration im Team und Lernmotivation wurden ebenso wie das kognitive Lernen der TeilnehmerInnen gefördert.
Das Fazit lautet also: die rein kognitive Erkenntnisebene anzusprechen (Erklärungen, Fakten, Daten) reicht nicht. Auch die Emotionen müssen angesprochen werden – idealerweise, indem der Lerninhalt Begeisterung entfacht oder über spannendes Storytelling vermittelt wird. Auch die körperlich-verhaltensbezogene Ebene ist wesentlich: indem etwa Bewegung, Gesten oder kreative Prozesse wie Zeichnen, Malen oder Bauen mit einbezogen werden, wird das Lernen effektiver und nachhaltiger gemacht. Daher gewinnen auch Serious Games, Rollenspiele und Kreativitätstechniken wie Lego Serious Play und Design Thinking in Workshop-Formaten zu Recht an Bedeutung.
Achten Sie bei Weiterbildungsformaten auf die drei Dimensionen Hirn, Herz und Hand: Je mehr alle drei Ebenen angesprochen werden, desto besser werden Sie das Gelernte behalten. Workshops mit kreativen Ansätzen, die persönliche Mitarbeit und Reflexion der Teilnehmer fördern, sind ideal. Das gilt auch für rein fachliche Seminare. Erkundigen Sie sich im Vorfeld über die didaktischen Ansätze der Seminarleiter. Reiner Frontalunterricht hilft Ihnen wenig.
Ihre Begeisterung zählt: So banal es klingt, je mehr Interesse Sie am Lerninhalt haben, desto besser. Achten Sie bei der Auswahl darauf, an Ihrer Begeisterung und Ihrem bestehenden Wissen anzuknüpfen. Versuchen Sie auch selbst, den Inhalt mit Ihrem bisherigen Wissen und Erfahrungen zu verbinden und Aspekte hervorzuheben, die Sie spannend finden. Stellen Sie den Dozenten möglichst immer praxisnahe Fragen, die Sie aktuell beschäftigen.
Wenn Sie sich auf Prüfungen oder Tests vorbereiten: Veranschaulichen Sie den Lernstoff in kleinen Einheiten oder Mindmaps. Bewegen Sie sich, während Sie Inhalte laut durchdenken. Das hilft beim Verankern des Lernstoffs. Und: machen Sie Pausen an der frischen Luft, um das Gelernte zu verarbeiten.
Reflektieren Sie das Gelernte ein paar Tage und nochmals einige Wochen später: Was bedeutet es für Ihren Job? Wie können Sie es in Ihren beruflichen Alltag einfließen lassen? Am besten tauschen Sie sich mit anderen Teilnehmern der Veranstaltung aus. Vielleicht haben Sie auch Lust darauf, eine Reflexionsgruppe parallel zur oder nach der Weiterbildung zu gründen? Wenn uns der Alltag wieder hat, vergessen wir häufig, unsere neuen Erfahrungen und Informationen zu integrieren und machen weiter wie bisher. Gemeinsam zu reflektieren, schützt davor.