Schluss mit Ängsten und Widerstand: Was können Führungskräfte tun, um den Widerstand gegenüber Neuem in ihrem Team abzubauen? Was sagen Hirnforschung und Organisationsentwicklung?
70 Prozent aller Changeprozesse in Unternehmen scheitern. Das hat die Unternehmensberatung McKinsey bei einer Untersuchung im Jahr 2016 herausgefunden. Laut McKinsey liegt es vor allem am mangelnden „Wie“ der Veränderung: die Menschen wüssten nicht, wie sie die Transformationsziele erreichen sollten, welche Tools und Prozesse zielführend wären. Und auch wenn klassische Changeprojekte immer mehr durch langfristigere Transformationsprozesse abgelöst werden, stellt sich die Frage: Warum haben wir so ein Problem mit Veränderung?
Der Mensch an und für sich ist für die spontane, schnelle Veränderung nicht gemacht. Die Verhaltenspsychologie nennt das auch den „Status Quo Bias“: Der Mensch sucht den Weg des geringsten Widerstands. Wir Menschen tendieren dazu, den Status Quo beizubehalten, einfach weil wir ihn schon gewöhnt sind. Und auch dann, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern – es also absolut keinen Sinn mehr macht und wir sogar Nachteile davon haben. Wir bleiben beim selben Stromnetz- oder Mobilfunkanbieter, obwohl die Konkurrenz längst bessere Angebote hätte. Schlicht, weil wir zu bequem sind.
Ins Handeln kommen wir erst, wenn wir unter einem gewissen Leidensdruck stehen – oder bedroht werden.
Dann setzt die Amygdala im Gehirn auf „Fight or Flight“: Wir gehen in den Widerstand oder wir gehen. Das ist auch in Unternehmen zu beobachten, wenn der Geschäftsführer vorne steht und verkündet: Ab jetzt müssen wir alles anders machen. Das Fazit: Als Führungskraft sollte man nicht über den Widerstand der Mitarbeiter jammern. Sondern ihn als natürliche Reaktion begreifen.
Auch der Widerstand geht in der Regel vorbei. Denn meist machen alle Unternehmen und damit auch die Mitarbeiter die sieben Phasen der Veränderung durch: Die (digitale) Transformation löst in der Belegschaft eine Überraschung oder gar einen Schock aus. Es wird mit Widerstand und Ablehnung reagiert. Dann folgt die rationale Einsicht zur Notwendigkeit der Veränderung, daraufhin landet man im „Tal der Tränen“, wo man erst mal ordentlich überfordert ist. Erst, wenn man die Situation emotional akzeptiert, wird man offen für Neues: man beginnt, zu experimentieren, probiert Neues aus und gestaltet die Veränderung aktiv mit. In diesen Phasen ist es wichtig, dass Führungskräfte auf die Bedenken, Ängste und Verunsicherung der Mitarbeiter eingehen, ihnen einen klaren Rahmen und eine Vision samt konkreter Ziele und Experimentierfelder vorgeben. Für Stabilität in Zeiten der Unsicherheit zu sorgen, gehört zu den wesentlichen Aufgaben der Führungskräfte.
Dannemiller und Jacobs haben bereits 1992 die „Formula of Change“ entwickelt. Demnach müssen die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation, die Vision von einer besseren Zukunft und die Kenntnis über die ersten Schritte dorthin in der Belegschaft stärker entwickelt sein als der Widerstand gegen Veränderung. Die schlechte Nachricht ist laut Hirnforscher Gerhard Roth: Nur zehn Prozent aller Menschen freuen sich über Veränderungen. Die Mehrheit sei veränderungsaversiv, würde sie also scheuen. Er sagt: Erst wenn der Gewinn doppelt so hoch ist als der bisherige, ist der Mensch bereit, etwas Neues zu tun. Folgt man dieser Argumentation, bedeutet das für Führungskräfte: Sie müssen ihren Mitarbeitern etwas viel Besseres als den Status Quo in Aussicht stellen. Was wiederum nicht monetär sein muss, denn: Das Belohnungszentrum im Gehirn springt bei Gehaltserhöhungen und materiellen Incentives (gratis Massage, günstige Fitnesscenter-Card, eigener Parkplatz) nur kurzfristig an – und gewöhnt sich rasch an die glücksbringende Dopaminflut. Viel wichtiger ist die Aussicht auf Mitgestaltung, Sinnorientierung und Bedürfnisorientierung – wie nach flexiblen Arbeitszeiten und mehr Zugehörigkeit. Leider wird bei vielen Transformationsprozessen eher ein Mangel erlebt: Die Menschen müssen ihre individuellen Arbeitsplätze aufgeben und auf Shared Desks wechseln, sie müssen ihre Komfortzone verlassen und über Dinge entscheiden, für die bisher der Chef Extrageld bekommen hat. Das klingt nicht erst einmal nicht nach Gewinn, oder? Eine intelligente und schöne Bürolandschaft, die den Bedürfnissen der Mitarbeiter entgegenkommt, sie kreativer, fluider, selbstbestimmter arbeiten lässt, soweit sie es wollen, könnte da schon eher ein Ansporn sein.
Hirnforscher Gerald Hüther meint zwar: Das Gehirn weist Neuroplastizität auf, kann also bis ins neue Alter geformt und verändert werden. Der einzige Haken daran sei: Veränderung geschieht nur, wenn die emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert werden. Den Mitarbeitern die rationalen Argumente für die notwendige Veränderung mit Zahlen und Fakten zu präsentieren, reicht leider bei weitem nicht. Wesentlich ist es, positive Emotionen wie Vorfreude und Begeisterung auszulösen. Und das geht nur, wenn die Mitarbeiter auch etwas von der Veränderung haben – und somit auch einbezogen werden. Und: gemeinsam mit den Mitarbeitern ihre intrinsische Motivation und ihren Sinn im Job herauszufinden, der wiederum der Veränderung dienen kann, sorgt für Lebendigkeit und Aufbruchstimmung im Unternehmen.
Wer als Führungskraft die Mitarbeiter zur Veränderung bewegen will, muss sie begeistern und ihnen den Mehrwert dieser Veränderung schmackhaft machen. Die Mitarbeiter sollten unbedingt mitgestalten dürfen und ihre Arbeitsinhalte, Arbeitsabläufe neu mitbestimmen können – passend zu ihren Interessen, Stärken, ihrer intrinsischen Motivation und ihrem Sinnerleben. Das bedeutet also: die Mitarbeiter sollen sich auch mit sich selbst auseinandersetzen dürfen, um ihren neuen Platz im sich verändernden Unternehmen zu finden. Das bedeutet wiederum: Wertschätzung des einzelnen Mitarbeiters, der mehr ist als nur ein kleines Rädchen im Getriebe.
Der Transformationsprozess auf organisationaler Ebene muss also auch im Individuum ermöglicht werden. Ohne intrinsische Motivation ist die Veränderung im außen so gut wie unmöglich. Erst wenn der innere Antrieb eines Menschen positiv getriggert wird und in Resonanz mit dem geht, was im Außen passiert bzw. passieren soll, erst dann ist dieser Mensch bereit, sich auch innerlich zu bewegen.